In Santa Fe bin ich bei Marilyn (87) und Bob (90) untergekommen. Barbara aus Shawnee hat mir diese Unterkunft vermittelt. Marilyn hat sechs Kinder mit in die Ehe gebracht und Bob eines. Was sofort auffällt, ist, wie liebevoll beide miteinander umgehen und wie viel sie miteinander reden. Ich bekomme zunächst das im Pueblo Stil erbaute Haus gezeigt. Im Erdgeschoss befinden sich die Doppelgarage, die offene Küche und der großzügige Wohn- und Essbereich. Der Wohnbereich öffnet sich nach oben unter das Flachdach und verbindet so ihr Schlafzimmer mit dem Wohnbereich. Im oberen Stockwerk befinden sich die Bäder, ein Fernsehzimmer, ein Gästezimmer und das Nähzimmer von Marilyn. Im ganzen Haus hängen Gemälde und Kunst.
Wir unterhalten uns über alle möglichen Dinge und so verschiebt sich das Grillen des Lachses immer weiter nach hinten. Nach dem Abendessen werde ich in das Abendprogramm eingebunden: Bob legt eine DVD ein und wir sehen ´La vie en rose´ über das Leben Edith Piafs.
Bis jetzt habe ich schon allerlei über Bob und Marilyn erfahren: Marilyn arbeitete als Diätassistentin und bekam dann ihre Kinder. Sie wollte aber schnell wieder anfangen zu arbeiten. Ihr erster Mann wurde manisch-depressiv. Entweder produzierte er ein heilloses Durcheinander bevor er verschwand und nicht wieder gesehen wurde oder er verließ das Haus nicht. Sie deutet an, dass das eine harte Zeit war. Um so erstaunlicher finde ich, dass sie einen unerschütterlichen Optimusmus und gute Laune verbreitet. Bob erzählt mir, dass er es liebt, dass sie immer gute Laune hat und er möchte, dass dies so bleibt, weshalb er alles für sie tun würde. Er sagt es zu mir, aber so, dass sie es hören kann: Sie lacht und winkt ab. Er macht ihr viele Liebeserklärungen und ich wünsche mir, genau so mit Jürgen alt zu werden. Gute Beispiele sind da eine große Hilfe.
Er war als Arzt tätig in Oklahoma. An der Uni hat er mit drei anderen Jungs zusammen in einer WG gewohnt. Einer der anderen Jungs war sein Bruder und der hatte sich eine Zeit lang mit Marilyn getroffen. Sie waren ernsthaft miteinander ausgegangen. Jedoch war sein Bruder Protestant und Marilyn katholisch, was für ihn dann am Ende doch einen Hinderungsgrund darstellte. Bob ist das alles egal. Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass Religion für ihn eher was Suspektes ist.
Marilyn steht trotz ihrer Gläubigkeit der Kirche gegenüber nicht unkritisch dar. Sie beschwert sich über diverse Prister, die ihrer Meinung nach eine zu große Distanz zur Gemeinde pflegen. In der Kathedrale war bis letztes jahr noch ein sehr netter Priester, der dann aber in die Provinz versetzt wurde, weil er in einigen Dingen doch zu offen war. Der jetzige Priester versperrt die Tür, wann immer es möglich ist, so auch am Samstag: Vor dem Eingang ins Kirchenschiff steht ein Tisch, mit Votivkärtchen des Priesters, der Zugang zum Giftshop ist offen. Das Kirchenschiff ist mit schön bunten Ornamenten ausgemalt.
Bob und Marilyn sind sehr herzlich, am Samstag veranstalten sie eine kleine Party für mich, damit ich ihre Freunde kennenlernen kann und diese mich. Etwa fünfzehn Gäste kommen und erwarten von mir, wie viele vorher telefonisch angekündigt haben, einen kleinen Vortrag über meine Reise; auf Englisch. Ich bereite mich anhand meiner Fotos ein wenig vor und beginne dann einfach. Ich kann aus den Fragen herauslesen, was diese Amerikaner gerade umtreibt. Und wie immer geht es schnell um die beiden großen Diskussionen: Bildung und Sozialversicherung. Mein Eindruck ist, dass die meisten Amerikaner mit dem derzeitigen System zwar sehr unzufrieden sind, aber auf keinen Fall einen Rückschritt in die alten Zeiten wollen. Sie hoffen unter der neuen Regierung auf einen weiteren Ausbau und eine Verbesserung des derzeitigen Standes.
Unter den Besuchern ist eine ehemalige Diplomatin, sie war in Brüssel eingesetzt mit ihrem Mann. Sie stellt die meisten und präzisesten Fragen. Sie möchte ganz zum Schluss wissen, was die Deutschen von Angela Merkel halten; ich bin erstaunt, das hat mich noch keiner gefragt. Bisher wollten alle nur wissen, was ich von Donald Trump halte, was, das merke ich jetzt, wahrscheinlich immer eine rethorische Frage war. Wie immer taucht auch die Frage auf, was mein bisher schönstes Erlebnis auf dieser Reise war und wie immer stelle ich fest, dass es zu viele dieser schönen Ereignisse gab und ich kein bestes habe. Allerdings realisiere ich in einer ruhigen Minute etwas später, dass es Tage gibt, an die ich mich nicht mehr erinnere. In all der Fülle scheinen dann doch Dinge unter zu gehen und an Bedeutung zu verlieren. Ich bin gespannt darauf, was das erneute Lesen des Blogs wieder hervorholt.
Unter den Besuchern ist auch Hanna, die lange in San Francisco gelebt hat. Ich frage sie, ob sie jemanden weiß, bei dem ich unterkommen könnte. Sie ruft ihren Sohn an und der wäre bereit, wohnt aber 35 Kilometer südlich von San Francisco, was mir dann doch zu weit weg ist. Er will sich aber weiter für mich umhören, weil er verschiedene Leute dort kennt.
Bevor dieser Abend begann, an dem ich meinen ersten Vortrag auf Englisch gehalten habe, haben Marilyn und Bob mir Santa Fe gezeigt. Dabei muss ich sagen, dass sie eine Ausdauer an den Tag gelegt haben, die ich beeindruckend fand. Sie fingen an mit einem kleinen Café, das sich auf Schokoladenspezialitäten verlegt hat. Als erstes bekommt man so viele verschiedene Trinkschokoladen zum Probieren angeboten, wie man möchte und dann kauft man sich für vier Dollar ein kleines Tässchen, dass wir dann wirklich mit viel Zeit Schlückchen für Schlückchen genießen.
Gegenüber sind zwei Galerien, die Bob für lohnenswert hält einmal rein zu schauen. Eine bemerkenswerte Eigenschaft der beiden, die ich bisher nur bei Kunststudenten erlebt habe, ist, die geschmiedeten Pläne von einer Minute auf die nächste über den Haufen zu werfen und etwas komplett anderes zu machen. Anfangs hat mich das überfordert, aber irgendwann sage ich mir, lass die mal machen, die wissen schon was hier los ist. Nach den Galerien wollten sie eigentlich in die Kathedrale, dann geht es aber doch erst zum Essen in ein mexikanisches Restaurant. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass ich nicht zum Bezahlen komme. Dann wollen wir in die Kathedrale, aber auf dem Weg dorthin biegen sie doch in ein Museum ab: Eine Gitarrenausstellung soll ich mir unbedingt ansehen und bin tatsächlich beeindruckt von den vielen verschiedenen Gitarren und ich frage mich, ob Micha Feins Lieblingsgitarre wohl dabei ist, welche es auch immer sein mag.
Dann sind wir endlich bei der Kathedrale und von dort geht es dann auf den Museumsberg. Auf dem Weg dorhin entscheiden sie jedoch, nach Hause zu fahren um eine kurze Pause zu machen. Ich bin erleichtert, weil die beiden trotz ihres Alters ein beachtliches Tempo an den Tag legen. Zu Hause macht sich Marilyn dann daran, den Abend vorzubereiten und Bob fährt mit mir dann auf den Museumsberg.
Zuerst geht er mit mit mir in ein Museum, das man als Ethnologisches Museum bezeichnen würde. Ein Saal ist vollgestopft mit einer Art Puppenhäusern aus aller Herren Länder, Masken, Kunsthandwerk, kleine Teppiche, … doch meist die figürlichen Puppenhausarten. Ich weiß es nicht anders zu beschreiben: sensationell. Dann geht es ins Museum für Indianerkunst und da geht mir die Luft aus. Ich kann mich nicht mehr, hab zu viel gesehen heute.
Am nächsten Morgen fährt Bob mich nach Madrid. Der Abschied fällt schwer, weil die beiden so nett sind. In Madrid setze ich mich nach drei Tagen wieder aufs Fahrrad und merke wie misstrauisch ich den Bergen, dem Wind und der Temperatur gegenüber bin. Doch dann muss ich mir eingestehen, dass ich misstrauisch mir gegenüber bin und mir nicht mehr zutraue, diesen Trip durchzuziehen, nach der letzten Tagesetappe auf dem Rad.
Zunächst geht es fünf Kilometer bergauf und am Ende stelle ich erstaunt fest, dass ich 300 Meter höher bin als bei meinem Startpunkt. Dann geht es mit minimalem Rückenwind die kleinen Hügel rauf und runter, bevor es wieder auf 2150 Meter hoch geht. Die Luft ist hier tatsächlich etwas dünner, der Atem geht schneller und der Puls rast viel schneller als üblich, sie ist aber nicht so dünn, dass man nicht die Hügel hoch kommt. Und dann stehen plötzlich Büffel am Straßenrand, hinter dem Zaun.
Nachdem ich östlich von Albuquerque wieder auf die Route 66 und die I 40 treffe, geht es durch eine enge Schlucht nach Albuquerque, der größten Stadt New Mexicos. In der Schlucht merke ich, dass ich in den Bergen bin, eindeutig. Plötzlich fährt man aus dem Tal und die Landschaft öffnet sich. In der Ferne, auf der anderen Seite Albuquerques wird die Landschaft gelb, das scheint die Wüste zu sein.
Das waren ja mal wieder sehr nette Gastgeber.Ich kann mir vorstellen,dass man sich bei den beiden
pudelwohl fühlt. Das Du dir gegenüber ganz mißtrauisch bist ist eigentlich versändlich.Aber ich denke
Du schaffst das.Vielleicht findest du auch eine Mitfahrgelegenheit durch die Sandwüste.
L.G.helmut u hanne
Hallo Thomas!
Wie wir lesen, sind deine Lebensgeister und neue nette Leute wieder da. Das man sich an einiges nicht mehr erinnern kann, ist, meine wir, ganz normal. Dafür gab es zu viele Eindrücke zu verarbeiten und neue kommen hinzu.
Das Misstrauen dir gegenüber hat sich hoffentlich gelegt. Die Pause war wohl nötig. Der stärkste Mann braucht mal eine.
Also, weiterhin Kopf hoch und auf in die gelbe Sandkiste, per Drahtesel oder auch mal mit dem Bus.
v.l.G. V+M
Wir hatten das Glück, mit Thomas zu skypen und die reizenden Gastgeber kennenzulernen! w und w haben sie deutlich jünger eingeschätzt!! Ja, so möchte man zusammen alt werden!!
Die gut 100 km „bergab“ gingen wohl richtig schnell, nun hat dich die 66 wieder. Auf Regen folgt Sonnenschein, auf Kälte Wärme! Aber was kommt nach der Wüste?? California!! go west!