Amarillo

Mein Gastgeber kommt um 20:00 Uhr von der Arbeit. Er ist Krankenpfleger wie ich und arbeitet in einem Veteranenkrankenhaus. Da der Staat hier die Gesundheitskosten für Personen übernimmt, die länger als acht Jahre beim Militär waren oder durch den Einsatz im Militär eine Behinderung davongetragen haben, werden für diesen Zweck eigene Krankenhäuser und Gesundheitszentren betrieben. Er war selber acht Jahre bei der Army als Infanterist und kämpfte im Irak und Afganistan.

Wenn etwas im Leben nicht richtig läuft, dann ist der menschliche Geist in der Lage, das Paradigma zu wechseln. Er glorifiziert seine Zeit bei der Armee und wirkt dabei unglaublich zerbrechlich. Er ist ein widersprüchlicher Mensch. Als im August 2003 ein Bus mit deutschen Soldaten von einem Selbstmordattentäter in die Luft gejagt wird, ist er in Kabul. Der Anschlag findet in unmittelbarer Nähe des US-Camps statt und seine Kameraden eilen zur Anschlagsstelle und helfen, die Verletzten zu bergen. Mehr erfahre ich nicht über seine Zeit im Krieg; es ist zu spüren, dass da Wunden entstanden sind.

Sein Haus ist sauber, alles was nicht notwendig ist, gibt es in diesem Haus nicht. Ich habe in den USA noch nie ein so aufgeräumtes Haus gesehen. Im Wohnzimmer gibt es einen Couchtisch, ein Ecksofa und den Fernseher mit Router und Mediaplayer, das war’s. In der Küche steht ein Tisch mit sechs Stühlen, auf dem Kaminsims seine drei Lieblingsspiele (Schach, Schiffe versenken, Stadt-Land-Fluss). In seinem Schlafzimmer das Bett, ein Nachtschrank und der Koffer mit den Gewehren. Im Haus sind keine Bilder, kein Schmuck oder Dekoration. Die Möbel sehen gebraucht aus, dabei ist mir klar, dass er sich von seinem Gehalt viel bessere Sachen kaufen könnte. Er ist ein verwundeter Mensch.

An seinem Kühlschrank hängen Magnete, die alle die Armee zum Thema haben. Seine T-Shirts sind alle zum gleichen Thema, er arbeitet in diesem Hospital und das Soldaten Ehre erwiesen werden muss, das dringt ihm aus jeder Pore. Ich glaube, so bekommt die eigene Geschichte einen Wert.

Warum geht man zur Armee in den USA? Ich bekomme eine Antwort auf diese Frage, ‚weil er aus einer armen Familie stammt und etwas besseres wollte‘. Er wollte Krankenpfleger werden, was ihm seine Eltern niemals hätten bezahlen können und verschulden wollte er sich auf keinen Fall. So ist er acht Jahre zum Militär. So hat der Staat ihm die Hälfte seiner Ausbildung bezahlt, und die andere Hälfte das Krankenhaus, in dem er gelernt hat und in dem er jetzt immer noch arbeitet. Er musste sich für fünf Jahre nach der Ausbildung verpflichten, dort zu bleiben. Es gefällt ihm so gut, dass er dort bleiben will, wenn er dieses Jahr frei wird.

Viele Menschen machen es so wie er und ich muss an ´Gangs of New York´ denken, an die Szene, wo die Reichen in ihrem Salon feiern und einer sagt: „Wenn die Bevölkerung gegen dich rebelliert, findest du immer noch Leute, die du dafür bezahlen kannst, dass sie diese Leute niedermetzeln“ (so ähnlich). Und so ist es hier: Der Staat bezahlt die Leute, die keine Zukunft sehen, dafür, dass sie sich in den Krieg stürzen. Bildung ist für viele ein unerschwingliches Gut. Wer kein Stipendium bekommt oder reiche Eltern hat, kann sich für Jahre an die Bank oder an die Armee verkaufen.

Er wünscht sich Bernie Sanders als Präsidenten. Er glaubt, dass Hillary gelogen hat, was genau kriege ich nicht heraus, weil wir an diesem Punkt immer wieder unterbrochen werden. Barack Obama ist ein Diktator, der mit den Republikanern keine Kompromisse eingeht. Er hält die heeren Ideale, die er immer wieder vorschiebt für arrogantes Gehabe, um nicht an die Staatsverschuldung ran zu müssen. Ich kann dagegen argumentieren und habe das Gefühl, dass ich am Ende ein wenig eine Lanze für Barack Obama brechen konnte und hoffe, dass er es nicht wahr macht, Donald Trump zu wählen. Er ist zerissen.

Abends gehen wir in einen Pub. Es ist Saint Patrick’s Day. Wir treffen uns mit zwei Arbeitskolleginnen von ihm. Eine hat ihren Freund mitgebracht, der wiederum einen Freund mitgebracht hat. Ich esse etwas und dann werde ich zum Gesprächsthema und muss von Deutschland erzählen. Die meisten Amerikaner fahren in den Süden Deutschlands, den Norden kennt kaum einer. Wetter und Landschaft muss ich beschreiben. In Amarillo kann es sehr kalt werden und wenn ich von unserem Wetter erzähle, dann ist es in Amarillo doch nicht mehr so kalt.

Die beiden Arbeitskolleginnen kommen noch mit nach Hause und dort spielen wir noch eine Runde Stadt-Land-Fluss. Ich schlage mich auf Englisch gar nicht so schlecht.

So wird es spät und am nächsten Tag wird erst mal ausgeschlafen. Er möchte mit mir unbedingt schießen gehen. Jürgen stellt die Frage, was so toll daran ist und er sagt, es mache Spaß, auf Dosen zu schießen und einen Wettbewerb mit Freunden zu veranstalten, wer zuerst die Dosen weggeschossen hat. Er sei ein richtiger Sicherheitsfanatiker meint er, weshalb seine Familie und Freunde nicht gerne mit ihm schießen gehen, weil er dann immer so viele Regeln aufstelle, wie mit den Waffen umgegangen werden müsse. Aber Waffen seien gefährlich, sagt er, und es geschehen zu viele Unfälle, weil jemand unachtsam sei; sowas passiere ihm nicht. Dazu passt nicht so ganz, dass seine Waffen offen zugänglich im Schlafzimmer stehen.

Ich hatte mir vorgenommen, das auszuprobieren. Er ruft im Schießstand an, ob wir vorbei kommen können und muss erfahren, dass ein Polizist den Schlüssel verbummelt hat und so im Moment niemand rein kommt. So wird das nichts mit dem Schießen.

Statt dessen fahren wir zum Palo Duro Canyon im Süden Amarillos und wie es sich zünftig gehört, fahren wir mit seinem 82´ Chevi Silverrado. Im Canyon machen wir eine Wanderung. Eigentlich wollten wir die kurze Runde des Crest Peak Trails gehen, der etwa eine Meile Weg bedeutet, aber irgendwie sind wir an der Abkürzung vorbei gelaufen und gehen am Ende die ganzen drei Meilen, was sich aber gelohnt hat.

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Ein Martinshorn ist zu hören und bald darauf ein zweites. Er ist sofort auf Hab-Acht-Stellung und sagt ängstlich, dass da etwas Ernstes passiert sein muss. Bald darauf fliegt der Helikopter seines Krankenhauses in den Canyon. Als dieser dicht über unseren Köpfen abfliegt, kreuzt er die Finger und deutet dem Hubschrauber hinterher. Ich habe das in einem Film gesehen, Soldaten wünschen ihren Verwundeten Kameraden so alles Gute. Er wirkt aufgewühlt.

Dann zeigt er mir noch The Big Texan: Wer hier ein 2 Kilogramm Steak nebst Beilagen in einer Stunde verzehrt, bekommt es umsonst, wenn nicht, wird es sehr teuer (über 100,- $). Nach einem leckeren Essen beim Mexikaner geht es zu Bett.

 

4 Replies to “Amarillo”

  1. hanne hartung

    Hallo Thomas!
    Ein toller Bericht,welcher wieder zum Nachdenken anregt.Tolle Aufnahmen.Der Weg hat sich
    doch gelohnt.

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  2. Wolfgang

    Krieg ist etwas, mit dem sich unsere jetzige Generation in Deutschland glücklicherweise eigentlich nicht
    mehr beschäftigen muss! Und deshalb kann ich auch die amerikanische Denkweise kaum nachvollziehen. Dann auf solche Personen zu treffen und mit Ihnen diskutieren: Hut ab!!

    Das mit dem Steakhouse und dem Canyon finde ich natürlich hervorragend, Sven und ich machen dann auch mal so einen Contest….

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    1. Sven

      Genau! Ich finde Ostern wäre der richtige Zeitpunkt für eine Challenge mit Steaks groß wie Fußmatten!

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  3. Theresia Potthoff

    Interessante Bilder und ein spannender Bericht. Es ist sicher interessant immer wieder neue Menschen kennen zu lernen und mit ihnen schöne Dinge zu erleben. Weiter gutes gelingen und gute Fahrt

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