Es ist nicht so einfach einen Ort zu verlassen, der sauber, warm und trocken ist, wenn man nicht weiß, wo man am Abend landet. Trotzdem bin ich um 8:30 Uhr auf der Straße und erreiche um 11:45 Shawnee. Ich mache mich auf den Weg zur Episcopal Church. Vor der Kirche kommt mir eine Frau entgegen: Karierter Blazer, im selben Muster Knickerbocker und auf dem Kopf eine Schirmmützte im gleichen Muster. Die Haare sind zu 6 dünnen Zöpfen geflochten und über der Mütze mit Klammern zusammengeführt. Verrückt, denke ich und fühle mich gleich wohl.
Ich erkläre ihr, mein Vorhaben von NY nach SF zu fahren, worauf hin sie mich zum Lunch einlädt, das heute stattfindet. In den acht Wochen vor Ostern haben sich acht unterschiedliche Gemeinden in Shawnee zusammengetan und jede Gemeinde richtet einmal an einem Donnerstag einen Gottesdienst mit anschließendem Mittagessen aus. Von den vielen Baptistengemeinden hat eine kleine, die etwas offener ist als die meisten anderen, auch einen Donnerstag ausgerichtet. Ich stelle fest, dass ich in Deutschland keine Probleme damit habe anzunehmen, dass soetwas möglich ist. Hier in den USA erscheint es mir unmöglich und ich weiß nicht, warum. Mir ist schon aufgefallen, dass es Leute gibt, denen es schwer fällt, über Religion zu reden.
Ich werde wieder vielen Leuten vorgestellt und lande beim Essen am Tisch von Barbara. Barbara und Lauren, ihr Mann, betreiben zum einen ein Fahrradgeschäft in der Stadt und sind mindestens schon 25 Mal in Deutschland gewesen. Sie machen jedes Jahr mindestens einmal für sechs bis sieben Wochen Urlaub in Europa, meistens in Deutschland. Sie lieben Deutschland, weil man dort so wunderbar Rad fahren kann, obwohl es in den Niederlanden noch ein wenig besser ist, aber die Niederlande sind ja noch kleiner als Deutschland.
Ich frage nach dem günstigsten Motel in der Stadt und weil das keiner weiß, beschließt Barbara, dass ich heute Nacht bei ihnen unterkomme. Dann kommt Klara noch an den Tisch und lädt mich ans College ein, wo sich heute Abend die ´Visionaries´ zum Dinner treffen. „Da füttern wir ihn dann“, sagt sie zu Barbara. So wird alles für mich organisiert und unsere Abreise von der Kirche verzögert sich, weil jeder noch ein wenig mit Barabra reden will, um zu erfahren, wer ich denn bin.
Um 15:00 Uhr treffen wir Lauren am Café der Stadt. Sie trinken Kaffee und ich Sprite. Sie wollen dieses Jahr in die Baltischen Staaten und ich erzähle ihnen, dass ich schon zwei mal dort war zum Radfahren. So haben wir schnell ein Gesprächsthema gefunden, werden aber immer wieder von der Eigentümerin unterbrochen, die mir mehrfach zuruft, wie schön es ist, dass ich den Weg hier in ihr Café gefunden habe. Dann kommt Dough vorbei und begrüßt mich und erklärt mir, warum er Barbara so gerne als Gast hier hat: Weil sie ihm immer einen ´hug´ gibt. Barbara steht auf und drückt den an Parkinson leidenden Dough. Seine Frau ist die Chefin des Cafés und sie ruft ihm gespielt eifersüchtig zu, dass er jetzt nach Hause gehen soll; sie zwinkert mir zu.
Weiter zum Bikeshop wo ich die Gelegenheit nutze, mich von meinem vorderen Fahrradreifen zu trennen. Vor fünf Tagen habe ich schon den vorderen Reifen nach hinten gewechselt, weil der mehr Profil hatte. Ich habe dabei gemerkt, dass die Stelle, an der in Baltimore der Nagel durch den Reifen ging, ausgefranst ist. Auch an einer anderen Stelle ist ein Riss im Mantel, aus dem zahlreiche Fasern aus dem inneren des Mantels herausragen. Den muss ich jetzt austauschen, bevor er mir auf der Straße auseinanderfliegt. Für 35,- $ habe ich einen neuen Mantel, der aber im Durchmesser etwas kleiner ist. Jetzt sieht mein Fahrrad aus wie ein Chopper.
Jetzt habe ich einen Pressetermin. In der Kirche war die ortsansässige Reporterin, die über mich schreiben will. Ein Interview am Telefon… Mal sehen wie das wird.
Hai Thomas!
Ich freue mich mit dir, weil du, nicht immer, aber oft, so nette und offene Menschen kennenlernst. Hoffentlich hast du dich richtig gesteilt, um dich der Presse zu zeigen. Vielleicht kommen ja noch Bilder und Reportagen?
Gruß V
Na,das hat ja wunderbar geklappt mit dem Kirchenasyl.Wenn sie Dich auch noch gut füttern
bist Du ja für die nächste Etappe gut gestärkt.
L.G.helmut u hanne
Bezahlst du eigentlich Kirchensteuer? Ich habe da so Bilder im Kopf, da könnte man echt nen Film von machen… „Unser Star in USA“ proudly presents ??
So langsam reifst du ja echt zum Celebrity in den Staaten heran! Immer her mit der Presse :-). Und ja, es ist wirklich klasse, auf wie viele dir wohlwollende Menschen du unterwegs triffst.
Hallo Thomas!
Hier bin ich (V) nochmal. Weil M. jetzt beim Stricken ist, komme ich auch mal an den PC, was sonst sehr schwierig ist!!
So konnte ich mal deine Strecke recherchieren, und habe dabei eine, für mich überraschende Entdeckung gemacht.
Für dich sicher nicht so Überraschend, weil geplant, aber du kannst jetzt die Hälfte deiner Tour abstreichen, darfst die andere Hälfte aber noch fahren. Laut Fahrrad-Routenplaner beträgt die Strecke von New York bis Shawnee 2831 km und von Shawnee bis nach San Francisco 2828 km. Du hast sicher mehr auf dem Tacho, weil mehr Kurven und zu Aussichtspunkten gefahren bist. Aber weiter So, Kopf hoch und gute Fahrt!
Gruß Vatter