Hamilton – Tupelo

Ich lehne mich jetzt mal ganz weit aus dem Fenster und sage, dass ich die Appalachen hinter mir gelassen habe. Insgesamt waren das heute Schleswig-Holsteinische Verhältnisse, was die Steigungen und Abfahrten anging. Es gibt drei Widrigkeiten beim Radfahren: Kälte, Gegenwind und Regen. Mit einer dieser Gegner kann ich es gut aufnehmen, zwei sind wirklich nervig aber drei sind unerträglich. Heute war es nur der leichte Gegenwind, der etwas störte. Ich kann das Radfahren gut genießen und habe sogar das Gefühl, dass ich wieder ein wenig zu kräften komme.

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Heute Abend werde ich bei Rugus in Tupelo übernachten. Sein Haus sieht wirklich schön aus, auf den Fotos, die er bei Couchsurfing eingestellt hat. Seine Mutter wird beim Essen anwesend sein. Mal sehen, wie die Amerikanischen Mütter zu ihre erwachsenen Kindern sind.

Ich bin noch zwei Monate in diesem Land und mir wird manchmal klar, dass ich hier alleine bin. Auch wenn ich auf wunderbare Menschen und Gastgeber treffe, verlasse ich diese jeden Morgen wieder und begebe mich auf die Straße, die mein ständiger Begleiter ist. Die Monotonie der Beinbewegung beim Radfahren lässt die Gedanken umherstreifen. Mir wird klar, dass ich auf solchen Reisen mit mir selber klar kommen muss, denn ich bin derjenige, den ich von Ort zu Ort mit mir herumschleppe.

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Doch wer bin ich? Ich erkenne meine Eigenschaften oft nur in der Reflexion mit anderen Menschen. Ich erkenne mich im Anderen, doch wer bin ich dann in dem Moment? Bin ich nur ein Abbild des Anderen? Der Zweifel ist mein ständiger Begleiter, der Zweifel an der Existenz geht so tief, dass sich mir die Frage nach Gut und Böse einer Situation, eines Menschen, einer Handlung zunächst einmal gar nicht stellt. Ich glaube, dass es Regeln braucht, um in einer Gesellschaft zusammenzuleben und die Gesellschaft sollte seine Regeln so gestalten, dass die meisten Menschen von dieser Gesellschaft profitieren, in Sicherheit leben können, ihre individuellen Fähigkeiten zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen können. Doch auch hier stellt sich mir die Frage, was ist Sicherheit, was ist der Nutzen? Über all diese Dinge denke ich so lange nach, dass ich eigentlich selten sofort in der Situation ein Urteil fällen kann und das wiederum macht es, so hoffe ich, den Menschen in meiner Umgebung leicht, sich zu öffnen und ihre Geschichten zu erzählen. Ich liebe diese Geschichten. Man begegnet einem Land doch in den Menschen, die in ihm leben.

In den USA leben 320 Millionen Menschen. Hier muss es doch etwas geben, was die Menschen hier hält und zufrieden sein lässt. Ich schaue mit meinen europäischen Augen auf dieses Land und wundere mich über Vieles. Zum Beispiel frage ich mich, warum es in einem so sturmgeplagten Land erlaubt ist, diese Papphäuser zu bauen, die jedes Jahre wieder zahlreiche Obdachlose produziert, weil deren Häuser einfach weggepustet werden. Die sind nicht mal billiger als Häuser in Deutschland. Andererseits weiß ich auch nicht, was es hier kosten würde, ein Haus nach deutschen Richtlinien zu bauen. Ich lehne das nicht ab, Häuser so zu bauen, frage mich nur und will es auch wissen: Warum?

7 Replies to “Hamilton – Tupelo”

  1. Wolfgang

    Na, die Holzhäuser sind schon preiswerter/billiger als welche aus Stein. der zweite Vorteil ist, dass sie schneller zu bauen sind. Und das WLAN geht besser durch Wände und Decken. Aber dann ist auch Schluss! Und: die selbe Frage habe ich noch als verkappter Meteorologe auch schon oft gefragt…. ???

    Das weite Land auf deinen Bildern finde ich beeindruckend, voll der Gegensatz zum bisherigen!

    Und denke dran: du bist NICHT allein, ganz vielen Menschen folgen dir (aktuell) auf Schritt und Tritt im Internet und überhaupt! Frag mal Jürgen nach aktueller Hits und dem Kontostand. Und den ein oder anderen bekommst auch direkt vor die Kamera – Skype lässt grüßen!

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    1. Jürgen Potthoff-Jürs

      Der Kontostand ist fester Bestandteil meines Tagesablaufs und aktuell. Besucher sind täglich zwischen 30 und 40 auf der Seite. Ich weiß von zahlreichen anderen, dass sie nicht täglich, aber immer wieder mitlesen. Die absolute Zahl der Besucher sollte also deutlich höher sein. Ist also immer was los hier. ?

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  2. hanne hartung

    Hallo Thomas!
    Das die Menschen sich Dir gegenüber so schnell öffnen, hat auch etwas mit Sympathie zu tun.
    Mir gegt es genauso. Will ich nur ,einen Parkschein verschenken, muss ich mir erstmal die ganze
    Lebensgeschichte anhören.
    Man merkt schon das Du mehr Kondition hast.Du fängst an,beim Radeln,zu grübeln.Genieß die
    tolle Landschaft und wenn der Rucksack drückt,dann denk eben wir Leser sind alle bei Dir.Du
    fährst nicht allein.
    L.G.helmut u hanne

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  3. Werner Jürs

    Hallo Thomas, diesmal wird es länger.
    Wenn man diese langen ,geraden Strecken fährt, kann ich mir schon vorstellen, dass man sich alleine fühlt. Aber in Gedanken sind ganz viele bei dir. Es wird oft gefragt was du machst und wo du bist. Ich habe dich auf der 278 bestimmt überholt. Du hast mich nur nicht gesehen.
    Haben die in USA das gleiche A für Apotheke wie wir und evtl. am Baum kleben? Wenn ja, dann war ich vielleicht sogar dort bei dir. Also, du bist nie alleine. Denke ohne Heimweh an deine Freunde und Familie.
    Papphäuser, Oberleitung? Meine ersten Gedanken waren, wenn das bei jedem Sturm hält, würden einige Betriebe pleite machen und es gebe mehr Arbeitslose. Die bauen eben wieder auf, und hurra, alles neu. Wir Deutschen hätten keine Lust dazu. Wir renovieren eben öfters mal mit Farbe und Tapete.
    Also, Kopf hoch, nicht allzu lange grübeln. In Frage stellen und hinterfragen erlaubt.
    Wir haben dich lieb und sind mit unseren Gedanken immer bei dir.
    (Man sieht die Schreiberordnung ist ja wiederhergestellt )
    LG V+M

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  4. Theresia Potthoff

    Auch wenn ich nicht jeden Tag einen Kommentar schreibe – so lese ich Deinen Bericht täglich. Es ist immer interessant Dir in den Berichten zu folgen. Warte jeden Tag auf einen neuen. Meine Gedanken begleiten Dich auf Deiner Tour. Alles Liebe und gute Reise weiterhin. LG Theresia

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  5. kati

    Hi Thomas. Jetzt geht es an die „Wahrheit“, den „Jakobswegeffekt“ (?) . Naja. Vielleicht ist die Sicherheit eine Täuschung, der wir alle erliegen (?). Aber das „Echte“ ist vielleicht letztendlich die Begegnung mit den Menschen. Das Zuhören. Und das Mitgefühl (kein MitLEID) mit unseren MITmenschen ( unabhängig vom Kontinent). Ganz ehrlich? Keiner ist alleine. Es gibt kein ICH. Es gibt nur ein WIR. Und WIR spiegeln uns (wahrscheinlich) immer nur in den anderen. Sind aber auch nur alles vorsichtige Vermutungen meinerseits…..sei gedrückt, Kati

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