Baltimore – Washingtom

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Es wird dunkel, als ich Baltimore erreiche, die Sonne steht tief und die Gegenden, in die ich fahre, werden immer übler. Die Straßen sind in einem unglaublich schlechten Zustand. Jeder Gulli ist von tiefen Kratern umgeben. Gullideckel liegen auch schon mal dort, wo sie eigentlich nicht sein sollten, die Anschlüsse für die Löschwasserentnahme sind in der Straßendecke und die Regel ist, dass der Metalldeckel nicht mehr existiert. Die Folge ist ein Loch in der Fahrbahn, umgeben von Rissen und weiteren Kratern. Die ausgebesserten Stellen haben hohe Absätze, der verwendete Asphalt ist weicher und quillt mit der Zeit aus der Stelle heraus und zurück bleibt eine tiefe Bodenwelle. Von den vielen Rissen im Asphalt will ich hier nicht anfangen zu reden: unzählbar.

Einer dieser Risse wird mir zum Verhängnis: Plötzlich ist der hintere Reifen platt. Sofortiges Bremsen hilft auch nicht mehr: Der Mantel springt vom Rad und klemmt sich zwischen Bremse und Felge. Dem Mantel ist Gott sei Dank nichts passiert aber ich beschließe, mir einen Ersatzmantel zu besorgen. Ein FETTER Nagel hat seinen Weg durch alle Instanzen gefunden und ein 5 mm großes Loch an zwei Seiten des Schlauchs hinterlassen. Dass die Felge nichts abgekriegt hat, erscheint mir wie ein Wunder.

Die Gegend ist übel. Megan und Erik kann ich nicht anrufen, weil der Akku meines Handys alle ist. Powerblock angeschlossen, aber das Iphone will nicht sofort. Also beschließe ich, den Reifen zu flicken, obwohl mir nicht ganz wohl dabei ist. Während ich das tue, kann ich die Umgebung ein wenig beobachten. Dass hier Prostituierte und Dealer am Werke sind, war mir sofort klar. An den Straßenecken stehen kleine Gruppen von Männern, bei denen immer wieder Autos halten. Einer der Männer beugt sich durch das offene Fenster, kurzes Gespräch, den eigentlichen Austausch sieht man nicht. Frauen (Mädchen?) machen einen auf Anhalter, auch hier immer mal wieder Autos, die mit offenem Fenster anhalten. Nach einem kurzen Gespräch steigt die Frau ein oder das Auto fährt langsam weiter.

Trotz dieser üblen Gegend haben mir mehrere Leute ihre Hilfe angeboten. Doch was sollen sie tun? Das Fahrrad den letzten Kilometer zu Megan und Erik schleppen? Nein, nützt ja nix.

Ich hatte von Anfang an nicht die Hoffnung, den Platten geflickt zu bekommen , die Temperaturen sind viel zu niedrig, als dass der Kleber funktionieren kann. Beim zweiten Versuch wechsle ich einfach den Schlauch. Einen Dank an Fahrrad Paukstadt (NMS), der mir den Schlauch geschenkt hat. Ich wäre auf Gottvertrauen ohne Schlauch losgefahren. Ich werde mir noch zwei weitere auf Lager legen. Ich befürchte, die brauche ich hier in den Staaten. Auf meinen sonstigen Radtouren habe ich nie einen Platten gehabt.

Ach, noch eine Begebenheit, während ich mein Rad repariere: Plötzlich, lautlos, fahren drei Polizeiwagen vor einen Späti (Kiosk der die ganze Nacht auf zu haben scheint), aus jedem Wagen springen vier Polizisten, mit gezückten Waffen und stürmen in den Laden. Das ganze dauert nicht einmal 10 Sekunden. Was weiter passiert kann ich nicht sagen, mein Fahrrad ist heile und ich mache mich aus dem Staub.

Eine Stunde hat mich dieses Intermezzo aufgehalten. Ich wäre pünktlich bei meinen Gastgebern angekommen, so komme ich um 19:00 Uhr an und werde nett empfangen. Nach der Dusche geht Erik mit mir ums Eck ein Sandwich kaufen. Ich schäme mich etwas, als ich realisiere, dass ich mich irgendwie darauf verlassen habe, von meinen Gastgebern etwas zu Essen zu bekommen. Die ersten sechs Tage war das so, hier muss ich mich selber verpflegen.

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Megan und Erik waren gestern auf einer Party, es ist spät geworden und so bin ich ganz froh, dass auch sie früh zu Bett wollen. Ich bin ziemlich erschlagen. Der Weg nach Newark war erstaunlich einfach gewesen, heute kämpfe ich den ganzen Tag. Hügel rauf, Hügel runter. Die Ampeln sind entweder oben auf dem Hügel oder unten. Wenn ich oben ankomme, würde ich gerne eine Pause machen, aber hier sind die Ampeln immer grün. Die Freude auf die Abfahrt wird einem durch die rote Ampel im Tal genommen. So kann ich den Schwung nicht ausnutzen, um den nächsten Hügel zu erklimmen. ÄCHTS…

In mir reift der Beschluss, meine komplette Ausrüstung noch mal auf den Prüfstand zu stellen, mit dem Ziel: Die Hälfte muss weg! Patricia: Wenn Du das liest, dann sei darauf gefasst, dass ich Euer Angebot wahrnehmen, und Euch ein größeres Paket schicken werde.

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Heute morgen geht es wieder eine Stunde später als gedacht los. Wir reden noch so viel über die Weltreise, die Megan und Erik nächstes Jahr unternehmen wollen. Es soll zunächst nach Norwegen und von dort nach Deutschland gehen. Ich empfehle für die Reise nach Deutschland die Stenaline von Oslo nach Kiel, biete an, sie dort abzuholen und sie bei uns als Gäste unterzubringen oder nach Hamburg oder so zu bringen. Ich hoffe, das wird was. Ich erzähle von Wacken (Das sie natürlich kennen), Wattenmeer und unserem tollen Dorf (insbesondere unsere tollen Nachbarn).

Jetzt esse ich gerade bei `Chipotle´, das ist eine TexMex-Schnellrestaurantkette, die ich erstaunlich gut finde. Alles riecht lecker, schmeckt gut, macht einen gesunden Eindruck. Vollkornreis, Bohnen, Hähnchenwürfel, verschiedene Saucen, Käse, Mais und Salat. Das wird alles in einem Pappschälchen serviert, das mich irgendwie an die Nierenschalen aus dem Krankenhaus erinnert.

6 Replies to “Baltimore – Washingtom”

  1. Wolfgang

    Uiuiuiui! Noch mal gut gegangen. Wie gut, dass Du einen 2ten Schlauch dabei gehabt hast. Immerhin hast Du jetzt mal echtes Streetlife mitbekommen (die Rechtschreibkorrektur hat daraus erstmal „Sterbehilfe“ gemacht; ein Schelm, der Böses dabei denkt!).
    Aber die Gastgeber waren wieder bei Dir und so schlecht sieht das Sandwich ja auch nicht aus, vielleicht etwas klein… Wie sieht es denn überhaupt so mit Deiner Kalorienzufuhr aus? Als ich damals mit dem Fahrrad als junger Mensch solche Gewalttouren gemacht habe, war Schokolade ein steter Begleiter. Und Orangensaft!
    Drück Dir die Daumen für einen guten Rutsch nach Washington D.C., grüß mir den Obama!

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  2. Werner Jürs

    Man—Man Thomas noch mehr solche Stories und wir zweifeln ob es richtig war diese Tour anzutreten. Sobald es möglich ist, solltest du dir Ersatzschläuche zulegen!! So nun lass den Kopf nicht hängen und frohen Mutes auf die nächste Etappe.
    Mutti und Vati oder (M+V)

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  3. patricia

    Hmm, wir fahren nicht mal los auf eine lange Trainingfahrt ohne zwei Ersatzschlaeuche pro Rad, selbst mit Gatorskin Reifen … Das wir einer hier so beigebracht vom lokalen Fahrradclub NYCC, aus guten Gruenden. Wuerde ich dir sehr raten, besonders wenn du zu den weniger befahrenen Gegenden kommst. Vielleicht auch noch ein paar andere Ersatzteile und Werkzeuge, wenn du die nicht schon hast. Ich fand die Tools & Spare Parts liste, die ich dir geschickt hatte (Google spreadsheet) ganz gut… Sende uns ruhig ein paar Sachen, die du loswerden willst, um Gewicht zu sparen. Bringen wir dann gerne nach Deutschland beim naechsten Besuch, oder senden sie dir nach SFO. Vielleicht kannst du ja auch andere Sachen, die du nur fuer eine Weile nicht brauchst, aber spaeter wieder, „vorwaerts senden.“
    BTW, Chipotle ist ja mal angetreten als die gesuendere fast food Alternative, und auch ganz lecker (und kalorienreich), aber in letzter Zeit geplagt durch eine grossen e.coli Skandal – Glueck gehabt 🙂 Ganz allgemein finde ich es immer am besten, wenn wir ueber Land unterwegs sind, an einem kleinen, unabhaengigen und alternativ wirkenden Café anzuhalten – da gibt’s meistens die besten, preiswertesten und gesuendestens lunch Optionen.
    Good luck, weiterhin!

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  4. Jürgen Potthoff-Jürs

    Hey! Das liest sich dieses Mal fast wie ein Krimi. Will gar nicht wissen, was um dich herum so alles passierte. Vielleicht schaffen wir es heute noch, zu skypen?!
    Viele Grüße an Jeannine.

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  5. Elke

    Ja, die Schlaglöcher in den Staaten sind legendär. In manchen könnte man glatt einen kompletten Kleinwagen versenken. Wünsche dir morgen mehr Glück bei der Weiterfahrt!

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