Alle Pakete sind da:
– meine Reisetausche aus New York
– mein erster Gepäckabwurf aus Washington
– mein letzter Gepäckabwurf aus Amarillo
Ich packe alles aus und sortiere: Was kommt mit nach Deutschland, was kommt weg. Der größte Posten sind der Lowrider und die vorderen Gepäcktaschen, die waren überflüssig zu kaufen, sind ständig am Kantstein langgeschrammt und hatten zu viel Gewicht. Ich tausche sie bei Ted gegen seinen Fahrradhelm ein, der perfekt sitzt. Jetzt weiß ich, wie ein guter Helm passen muss.
Nachdem ich damit fertig bin, bittet mich Tele etwas zu Essen zu kochen, weil Ted Hunger hat. Ich bereite ein Curry zu und danach machen Tele und ich uns auf den Weg zur Valencia Street um ein paar Vintagestores zu besuchen. Im ersten Store findet Tele eine rote Cordhose und im Schauplatz, dem zweiten Laden, entdecke ich eine alte Uniformhose der Marines und eine Badehose der 50er Jahre, die ich umwerfend schön finde. Im Schauplatz war ich schon am ersten Abend und wollte Bernhard treffen aber der Laden hatte geschlossen.
Jetzt ist Alex da, Gesines Mann, wie ich bei ihr auf dem Hausboot erfahren habe. Sein Vater ist am Montag beerdigt worden und einige andere Dinge, die er nicht erzählen will, liegen ihm auf der Seele. Wir unterhalten uns zunächst und dann komme ich mit den beiden Hosen und stöhne ein wenig über die Preise, was ihn dazu veranlasst, mir die Hälfte des Preises nachzulassen. Tele versucht, die Preise von zwei Hemden zu verhandeln; erfolglos, was mir ein wenig ein schlechtes Gewissen macht, weil ich doch viel mehr Geld habe, als er in Brasilien. Aber Alex bleibt unerbittlich, Geschäft ist Geschäft. Als ich dann die Sachen bezahlen will, funktioniert die Kreditkarte nicht. Der Versuch, Bargeld von der Bank zu holen, scheitert auch. Ich kratze mich gedanklich am Kopf und mir kommt der Gedanke, dass, wenn das ein Dauerzustand ist, ich in zwei Tagen nicht den Rücktransport des Fahrrades werde bezahlen können: Ich bin beunruhigt. Ich beschließe, dass die Probleme nichts mit meiner Karte, sondern mit der Bank in Deutschland oder der Internetverbindung hier im Viertel zu tun haben.
In einem Laden entdeckt Tele heilende Steine und fragt mich, ob ich zu einem Stein dazulege, um ihn Ted zu schenken. Ich schaue ihn entgeistert an, er ist wirklich ein herzensguter Mensch, schuftet den ganzen Tag für Ted in der Wohnung, räumt auf, putzt, dekoriert, versucht so viele Umzugskartons wie möglich aus dem Weg zu bekommen und kauft ihm dann noch einen heilenden Stein; mir kommt das irgendwie nicht richtig vor. Ich selber habe ein heiden-Geld für die Lebensmittel bezahlt, mit denen ich die beiden versorge. Ich lege nichts dazu.
Tele besteht darauf, in den Dolores Park zu gehen, dort sollen immer sehr viele Leute herumhängen. Erst jetzt, wo ich hier schreibe, kommen mir Bilder von einem Lateinamerika, das ich nie erlebt habe und nur aus dem Fernseher kenne, von Menschen, die im Freien tanzen, essen und gesellig beisammen sind. Ich sträube mich gegen den Park, habe aber keine Chance, er will dort hin. Also gehen wir. Aber wir sind in Amerika und das ist nun mal nicht Brasilien. Im Park sind kaum noch Leute und die Luft ist feucht und kühl. Auf der anderen Seite des Parks sehe ich in einem umzäunten Areal Radfahrer umherfahren. Während nun Tele nicht mehr so interessiert ist, hier zu bleiben, will ich dorthin und mir das ansehen und diesmal setze ich mich durch. Auf dem Feld wird Bikepolo gespielt. Wir stehen etwa fünf Minuten auf der anderen Seite des Zaunes, als Ryan auf uns zukommt und uns fragt, ob wir es mal ausprobieren wollen. Er sei gestürzt und habe sich die Schulter geprellt, weshalb er nun auf der Ersatzbank sitze.
Ich entscheide mich spontan für ja. Er holt sein Fahrrad raus und ich drehe ein paar Versuchsrunden, die ihn schon dahingehend beruhigen, dass ich kein Fahrradanfänger bin. Ich schaue ihn an und sage, „Nee, das bin ich nicht“ und bevor ich ihm erklären kann, was gerade hinter mir liegt, tut Tele dies: Staunen und Anerkennung. Das Fahrrad ist ein Mountainbikerahmen, mit nur einer Bremse am Vorderrad. Man braucht auch nur einen Bremshebel, da man beim Spielen ja auch nur eine Hand hat, die andere hält den Schläger. Die Füße dürfen den Boden nicht berühren bei diesem Spiel, sollte man anhalten wollen, darf man den Schläger dazu nutzen sich auf dem Boden abzustützen. Sollte man doch mal mit dem Fuß auf den Boden kommen, muss man zur Mittellinie und dort mit dem Schläger einmal gegen die Bande ticken. Tore darf man nur mit der schmalen Seite des Schlägers machen. Es gibt noch mehr Regeln, aber dies sind die Basics, die für mich für den Anfang erst mal gelten.
Zum Üben gibt es erst mal ein wenig unverbindliches Rumgekicke auf dem Feld, dabei erfahre ich, dass Ryan für Wikipedia arbeitet: Ich bin total aus dem Häuschen, dass ich einen Mitarbeiter der besten Website der Welt antreffe. Jedes Jahr spende ich für Wikipedia (Apropos: Wer hat noch nicht gespendet?). Ich darf mich mit ihm zusammen fotografieren.
Dann startet ein richtiges Spiel, drei gegen drei. Ich darf Florians Bike fahren. Ich erkläre ihm aber, dass ich nicht mehr allzu lange bleiben kann, dass wir zu Ted zurück müssen, der alleine zu Hause ist. Er versteht das falsch, glaubt, ich fühle mich unsicher auf dem Rad und hätte Angst. Als ich nach zehn Minuten das Fahrrad übergebe, nickt er anerkennend und meint, das sei eine gute Leistung, die ich da abgegeben habe, sei ein Meister im Blocken anderer Spieler, hätte ein Gespür dafür, an der richtigen Stelle zu sein, um die Gegner am Weiterfahren zu hindern.
Bikepolo ist cool.
Zuhause wartet ein Ted mit schlechter Laune. Er versucht freundlich zu sein, man merkt aber, dass er angepisst ist, so lange allein zu sein. Ich finde, er geht mit Tele nicht gut um. Tele reißt sich wirklich den A. auf für ihn und Ted kritisiert in einer Tour: Die Töpfe müssen anders in die Schublade, wagt er es einmal mich für seine Dienst einzuspannen; der Psychiatriepfleger in mir springt an und ich sage beiläufig zu ihm, dass ich es ihm frei sehe die Töpfe so anzuordnen, wie er sie haben möchte, was er dann auch tut. Er macht nach der OP sicher eine harte Zeit durch, doch seinen Helfer sollte man nicht wie einen Sklaven behandeln und ich entdecke darin auch seine Persönlichkeit, die, die eigene Person in den Mittelpunkt des Erlebens stellt. Er leidet und das teilt er mit, zum Beispiel indem er, während ich dusche, ins Badezimmer kommt, weil die fünf Meter zum anderen Bad zu weit für ihn seien und er nun auf die Toilette müsse: Das ist mir zu eng, zumal in mir der Verdacht aufkommt, dass er seinen WC-Besuch unnötig in die Länge zieht.
Wann wird die Badehose vorgeführt? Oder hattest du die in der Dusche an?? Wer auf heilende Steine setzt kann Töpfe bestimmt mit Willenskraft einsortieren, das spart den
Haussklaven – sind eh verboten! ??