Ich bin zu früh in Myrtle, komme um 16:00 Uhr dort an und da ich mir, wie immer, keine Hausnummer merken konnte, frage ich mich von einem zum anderen durch, bis ich schließlich vor einem Haus stehe, vor dem wiederum ein silberner Käfer steht. Ein etwa 24 Jahre alter Mann kommt heraus und fragt wie es mir geht (die übliche Floskel), dann fährt hinter mir ein Pick-up auf die Auffahrt und ich werde erst mal ignoriert. Fühle mich etwas fehl am Platz.
Nach einiger Zeit ist er fertig mit den Leuten aus dem Truck zu sprechen und bittet mich schüchtern ins Haus. Dort lade ich meine Taschen ab, an denen sich sofort ein Stubentiger zu schaffen macht. Da ich Angst um die Wasserdichtigkeit meiner Säcke habe, stelle ich die erst mal wieder nach draußen vor die Tür. Die Katze sieht ziemlich mitgenommen aus, der Schwanz fehlt zu einem großen Teil, weite Teile des Fells sehen struppig aus, man erkennt Verkrustungen auf der Haut. Später erfahre ich, dass sie die Katze vor zwei Monaten vor einem Freund gerettet haben. Sie erholt sich langsam, war vollkommen mit Kot verschmiert und hatte Milben im Fell. Die sind jetzt weg und langsam wächst das Fell nach. „Seit zwei Monaten ist die Katze erst da“, denke ich und schaue mich in der Wohnung um. In der Zeit hat die Katze es geschafft, die Ledergarnitur an einigen Stellen aufzukratzen, die Furnieroberfläche an den Türen zum Teil abzuschälen und unter dem einen Fenster den PVC-Boden aufzukratzen. Ich würde die Katze rausschmeißen. Das haben sie versucht, sie bewegt sich aber nicht von der Tür weg und macht dann Radau.
Dustin heißt der junge Mann, der mich empfangen hat und langsam taut er auf. Er scheint ein helles Köpfchen zu sein. Nach der Highschool ist er auf’s College gegangen und hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Die Studiengebühren zahlt er jetzt mit 36 Jahren (Er sieht viel jünger aus) immer noch ab. Für den Einzelhandel konnte er sich nie so richtig erwärmen. Nun arbeitet er bei seinem Vater in der Baufirma mit, würde gerne mehr Management machen, aber sein Vater lässt ihn nicht. Er spart sein Geld, möchte sich 18 Acres (4,5 ha) Land kaufen, um dort mit Biolandwirtschaft anzufangen, die gibt es hier in der Gegend nämlich nicht, sollte es aber seiner Meinung nach. Er erzählt von der Enge des Dorflebens, dass es hier eigentlich nur zwei Familien gibt, nämlich seine und die von Christopher und wie in Deutschland heißt es hier, wer keine Frau von außerhalb bekommt, sollte nicht zu eng in der Familie heiraten.
Er wird dann zur Geburtstagsfeier seines Neffen abgeholt und ich soll es mir hier gemütlich machen und auf Christopher warten. In der Stille kann ich plötzlich das laute Quaken des amerikanischen Ochsenfrosches hören, das in der Ferne zu einem hohen Flötenton kulminiert. Dann fangen die Schüsse an. Eine Stunde lang ballert in der Nähe des Dorfes irgendeiner in der Gegend herum.
Christopher kommt um halb sieben nach Hause und entschuldigt sich sehr oft. Er lerne gerade Friseur und nach der Schule sei einem Schulkollegen das Auto verreckt. Er habe den nicht alleine lassen können und habe ihn nach Hause gefahren, was im abendlichen Berufsverkehr eine Ewigkeit gedauert hätte. Wir fahren ziemlich bald nach New Albany zu einem Mexikaner und essen.
Nach der Highschool ist Chris nach Memphis ans College gegangen und hat Autorestaurator gelernt, was auch den Grund für den Käfer vor seiner Haustür darstellt. Das interessiert mich und ich frage weiter nach. Die Arbeit habe ihm Spaß gemacht, aber sie sei in den USA sehr schlecht bezahlt und so habe er dies nicht weiter verfolgen können. Er habe aber die Schulden der Ausbildung gehabt und sich deshalb bei der Armee gemeldet, die die Ausbildungskosten übernommen hätten. In der Armee habe er verschiedene Dinge übernommen, unter anderem als Sanitäter gearbeitet. Irgendwo im Süden Deutschlands seien sie dann zwischengelandet auf dem Weg in den Irak. Über das, was dort passiert ist, spricht er nicht, aber das halbe Jahr in der Reha und die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ spricht für sich. Er sei in der ´glücklichen´ Lage, sagt er ironisch, dass er als Veteran eine anerkannte Behinderung habe, was ihm zum einen einen monatlichen Scheck über 400,- $ einbringt, zum anderen, und das sei viel wichtiger, eine lebenslange Krankenversicherung. Normalerweise kümmert sich die Armee nur fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Dienst um seine Angestellten, dann muss man wieder auf eigenen Beinen stehen und sich selber um seine Krankenversicherung kümmern. Die Armee bezahlt auch seine Ausbildung zum Friseur, weil er noch in diesen fünf Jahren ist. 13.000,- $ kostet die Ausbildung und, anders als in Deutschland, können Friseure in den USA viel Geld verdienen.
Ich finde Myrtle ja ganz idyllisch gelegen, es ist halt Landleben. Chris erzählt von der Trostlosigkeit seiner Kindheit. Auf der Fahrt durch New Albany, auf dem Weg zum Geburtshaus William Faulkners, kommen wir an seiner Highschool vorbei, fahren über die Straße, auf der sie immer den Unterricht geschwänzt haben, oder mit frisierten Mofas entlanggeheizt sind. Er erzählt von seinen Freunden, von denen viele auch schwarz waren, die entweder weggezogen sind, dem Alkohol oder Drogen verfallen sind.
Dustin und er hätten schwierige Zeiten erlebt und dass sie jetzt zusammen wohnen würden, sei gut. Sie passen aufeinander auf und bringen den anderen wieder auf die Straße, wenn einer von beiden drohe, auf die schiefe Bahn zu geraten. Dustins Freundin lerne ich leider nicht mehr kennen, beide schlafen lange am nächsten morgen.
Ich bekomme noch einen Haarschnitt verpasst und dann bringt mich Christopher noch ein Stück des Weges mit dem Truck seines Stiefvaters.
Mit Rückenwind und unter blauem Himmel fliege ich nach Memphis ein. Das Haus, in dem ich unterkomme, ist eher eine Villa. Ich bin ein wenig beeindruckt und zunächst recht schweigsam. Mark, Jonathan und Caleb haben dieses Haus vor zwei Jahren gekauft und wohnen hier zusammen. In der Remise ist eine Ferienwohnung untergebracht, im Garten ist ein Pool und in den großen Blumenkübeln sind Pflanzen, die ich nur aus den Gewächshäusern der botanischen Gärten in Deutschland kenne. Jonathan hatte übers Wochenende Besuch von der Verwandtschaft und gestern ist es spät geworden, was man den meisten Anwesenden deutlich ansieht.
Ich bin hier in einer anderen Welt gelandet. Heute morgen noch in einem kleinen, von einer Katze verwüsteten Haus auf meiner Luftmatratze gelegen und jetzt stehe ich hier mit Menschen, die sich darüber unterhalten, welche Werbeblöcke zu welchem Preis im örtlichen Radiosender am effektivsten Wirken. Mark hat eine große Anwaltskanzlei und weiß nicht genau, wieviele Angestellte er hat, Jonathan ist einer von ihnen. Caleb arbeitet in einem Krankenhaus als Research assistant. Er unterstützt die Ärzte und Krankenschwestern in der Forschung bei der Erstellung der notwendigen Statistiken und Beantragung von Geldern; ein äußerst lukrativer Job.
Nach einer Dusche, wollen die drei Essen gehen und so landen wir wieder bei einem Mexikaner. David kommt noch dazu und es entwickeln sich erste Gespräche. Woher kommt wer und was haben sie am Wochenende gemacht. Wenn sie sich unterhalten, dann sprechen sie zu schnell und ich kann kaum verstehen, was sie reden.
Nach dem Essen setzen wir Caleb und Jonathan zu Hause ab und Mark, David und ich fahren in einen Irish-Pub. Ich erfahre, dass Mark und Caleb seit dreizehn Jahren zusammen sind. Sie hätten die Vereinbarung gehabt, dass sie ab und zu mal einen dritten Mann mit nach Hause nehmen würden. Jonathan ist dann geblieben und nun seinen sie halt nicht ein Couple sondern ein Trouple, lacht Mark. Wie in jeder Beziehung gibt es gute Zeiten, Streit und Eifersucht, aber das sei nun mal so.
Viele Anekdoten werden erzählt an diesem Abend und viel gelacht. Besonders ist mir die Geschichte von Marks Oma zur Verdeutlichung dessen, was eine Südstaatenlady ist, in Erinnerung geblieben. Marks Oma hat wie er eine laute, durchdringende Stimme. Als diese nun eines Tages im Gottesdienst saß und der neue Priester über das lästerliche Leben von Schwulen und Lesben anfing zu erzählen passierte folgendes:
Oma (laut zu ihrer Tochter): Brenda ich fühle mich nicht gut!
In dem Moment wo der Priester fortfahren will: Brenda ich glaub ich muss nach Hause.
In dem Moment wo der Priester fortfahren will: Brenda lass uns gehen.
Oma steht auf, sie sitzt am äußersten Rand der Bank und bittet aber die Leute in Richtung des Mittelgangs aufzustehen und sie durchzulassen:
– Brenda kommst du?
– Marge dir geht es auch nicht gut. Du musst auch nach Hause.
Brenda ist ihr gefolgt.
– Brenda, ich glaube, ich habe mein Portemonnaie liegen gelassen, kannst Du noch mal nachsehen?
– Petty Dir geht es auch nicht gut, lass uns nach Hause gehen.
– …
Der Priester hat wohl dieses Thema nie wieder angesprochen.
David erzählt, wie seine Mutter eine Freundin zur Räson gerufen hat, die über ihren schwulen Sohn hergezogen ist. Der Sohn der Freundin ist gerade Priester geworden und als sich Mutter und Freundin vor der Kirche die Hände schütteln, sagt Mutter ganz freundlich mit dem herzlichsten Lächeln im Gesicht: „Ich wünsche deinem Sohn, dass er genau so eine Person wie Dich in seiner Gemeinde hat!“ Es könnte Comedy sein.
Wieder zu Hause versuchen wir noch der Oscar-Verleihung zu folgen, aber nach einer viertel Stunde gehen wir zu Bett. Ich beginne noch, an diesem Beitrag zu schreiben.
Ja holla?! Gab es nicht die goldene Regel: keinen Blog beim Gastgeber schreiben??? ts ts ts…
Katzen? Ich verstehe Dich, da warst Du noch sehr tolerant. Ich hasse Katzen, wie Du weisst… Die sind immer so dreidimensional im Gegensatz zum Hund. Wie schön, dass es in Hennstedt durch Jürgen und Dich (und die doll netten Nachbarn) irgendwie ja dann doch gaaaanz anders ist. Dann noch die „steile“ Karriere in der US-Army. Au weia.
Ich freue mich, dass Du es in Memphis so toll angetroffen hast… Leonardo DiCaprio hat übrigens auch einen Oscar erhalten 🙂
Ja, da haste ja das volle Kontrastprogramm innerhalb von zwei Tagen erwischt :-).
Hallo Thomas!
Da bist du ja in zwei Welten gelandet. In Myrtle sagen sich ja Hase und Igel gute Nacht. So war mein Eindruck. Muss ein komisches Gefühl sein, wenn man es draußen ballern hört. Wie ich das mit den Katzen gelesen habe, hatte ich den Ort vor meinen Augen, und habe mich in meinem Gefühl für Katzen bestätigt gefühlt!
Die gehörten Lebensgeschichten sind ja, wie Wolfgang sagt, au weia.
In Memphis scheint es ja toll interessant zu sein, wir freuen uns mit dir über die Unterkunft, und sehen, du bist ja genau zur Kirschblüte in Memphis angekommen.
Viel Spaß, und weiter gute Fahrt – M+V
Schade das ich Deinen Haarschnitt nicht sehen kann.
L.G.hanne
Der Frisör war bei der Army, also aufgepasst ????
Hallo!
Sind mit Lilly zurück. Haben Winter. Liegt Schnee. Aktuelles aus Padenstedt morgen.
Gute Nacht M u V