Brian hat mich zu allen Akitvitäten und Mahlzeiten eingeladen. Ich habe mich auf meine Weise revanchiert und ihm die Küche geputzt. Weil er sich die ganze Zeit um mich gekümmert hat, hatte er nicht die Gelegenheit, die Küche vom Staub zu befreien, die ein Handwerker eine Stunde vor meiner Ankunft bei ihm hinterlassen hat.
Abends treffen wir Freunde von ihm: John und Toni. Natürlich wird essen gegangen in Gastonia. Toni arbeitet an der Universität in Charlston als Lehrer für nonverbale Kommunikation in Interkulturellem Kontext und würde mich am liebsten seinen Studenten vorstellen, weil ich viel zu diesem Thema beisteuern kann. Wir unterhalten uns prächtig.
Am nächsten Morgen will Brian mich mit seinem Auto nach Gastonia bringen, weil er mitbekommen hat, dass mir 140 Kilometer Tagesetappe viel zu viel sind. Mir ist schleierhaft, wie ich solche Tagesetappen aufstellen konnte. Sowieso werden die nächsten vier Etappen schrecklich, alle sind über 100 Kilometer lang. Irgendwie habe ich die Hügel hier auch unterschätzt. Seine Vergesslichkeit zeigt sich dann aber wieder als ihm einfällt, dass er ja vormittags in einer Suppenküche hilft. Ich nutze diese Gelegenheit und frage, ob ich mitkommen kann, schließlich sind diese Suppenküchen etwas, wovon ich in Deutschland schon häufiger gehört habe und von ihnen stammen unsere Tafeln ab. Natürlich darf ich mit.
Heute morgen brechen wir dann um 9:40 Uhr auf. Mein Fahrrad passt entgegen aller Erwartungen, die ich hatte, ohne Probleme in sein Auto. Ich hätte schwören können, dass dieses Auto (Toyota RAV4) viel kleiner ist, als unser Golf; weit gefehlt.
„95% der Besucher dieser Suppenküche sind Schwarze“, bereitet Brian mich vor. Lass Deine Wertsachen im Auto, da sind sie sicher verschlossen. Ich folge seinem Rat. Drogen- und Alkoholabhängigkeit trieben viele von ihnen in die Obdachlosigkeit. Die Schwarzen seien wieder einmal die Verlierer in den Staaten. Wenn sich in einem Hospital ein schwarzer Amerikaner und ein Inder als Arzt bewerben würden, dann werde sehr wahrscheinlich der Inder aus dem Ausland genommen. Noch vor zehn Jahren waren die Schwarzen die größte Minderheit im Land. Heute seien sie nach den Hispanics und den Asiaten (inkl. Indern) auf Platz drei, was mit einem rapiden Verlust an Einfluss einhergeht. Viele Schwarze hätten deshalb einen besonders großen Hass auf die neuen Einwanderer, die ihnen die Jobs wegnehmen würden. Diese Argumente kommen mir irgendwie bekannt vor.
Wir betreten das Zentrum durch den Vordereingang. Der Rezeption gegenüber steht ein Polizist, hinter der Rezeption ein Sozialarbeiter mit einer ehrenamtlichen Helferin. Wer hier Hilfe bekommen will, muss sich registrieren lassen. Es gibt wohl Erfahrungen, dass sich einige Obdachlose in mehreren Suppenküchen anmelden. Ich erfahre, dass hier insgesamt 380 Menschen angemeldet sind. An der Rezeption vorbei kommt man zur Kleiderkammer, an der man Klamotten bekommen kann. Dann gelangen wir in die Küche und werden sofort in die Arbeit eingebunden. Zwei Obdachlose haben hier eine bezahlte Anstellung als Suppenköche erhalten und sind fleißig am Zubereiten der warmen Mahlzeit. Kirchen spenden jeden Tag Sandwiches und Privatpersonen liefern Muffins als Dessert. Am Anfang eines Monats, werden nicht so viele Essen benötigt, aber spätestens zur Mitte hin sei bei vielen die staatliche Sozialhilfe (Sallery) aufgebraucht und sie kämen dann hierher. Ein Großteil der staatlichen Unterstützung werde für Alkohol und Drogen ausgegeben.
Zunächste stapel ich die Tabletts in einen Wagen, dann Sandwiches in flache Boxen und dann Servietten falten. Nebenbei muss ich immer wieder erklären, was ich hier in den Staaten gerade mache. Die zu 90% weißen Ehrenamtlichen sind in festen Gruppen eingeteilt und arbeiten an festen Tagen. Ich möchte ein Foto von der Gruppe machen, nur die beiden schwarzen Suppenköche fehlen und sind auch nicht aufzutreiben. Allen scheint das egal zu sein. Sie finden die Idee, ein Gruppenfoto zu machen, richtig gut. Irgendwas befremdet mich am Umgang mit den schwarzen Köchen. Ich habe das Gefühl, dass die beiden Köche irgendwie nicht dazu gehören. Brian bestätigt mir dies später. Ich erkläre ihm, dass ich nicht verstehe, warum. Er stockt ein wenig und scheint mich dann zu verstehen.
Durch die Verzögerung lasse ich mich von Brian hinter Gastonia am Ortseingagn von Kings Mountain absetzen und starte meine heutige Radtour von hier aus. Der Abschied fällt herzlich aus, nach etwa zwei Tagen weiß ich, warum er so viele Freunde hat. Seine offene, kompromisslose und spendable Gesinnung machen ihn zu einem besonderen Menschen.
Die Kilometer rollen nur so dahin. Ein leichter Rückenwind hilft mir, aber vor allem habe ich das Gefühl, dass meine Kondition langsam belastbarer wird. Die Sonne scheint, es ist warm. Ich fahre das erste Mal ohne Handschuhe und ziehe nach zehn Kilometern das erst Mal den Pullover aus und lasse die Jacke offen, sonst gehe ich ein. So soll Radfahren sein.
Ich komme durch ein paar Kleinstädte und mir fällt auf, wie sehr ich mich an sie gewöhnt habe. In Deutschland sind die Orte durch Ortsschilder begrenzt und an ihnen beginnt in der Regel die dichtere Bebauung. Hier in Amerika schauen mich die Leute blöd an, wenn ich ihnen erzähle, dass man in Deutschland eine Baugenehmigung einholen muss. Hier kauft mann sich Land, und wenn man etwas bauen will, dann baut man eben. Wenn ein Hirsch auf privates Land kommt, dann kann man ihn erschießen, er ist ja auf Privatgrund. Auf Highways darf man einen Hirsch nicht erschießen, weil einem der Highway ja nicht gehört. Nach diesem Rechtsverständnis fransen die Orte an den Rändern aus und fast unmerklich nimmt zum Ortszentrum die Bebauung zu und plötzlich denke ich immer wieder: Ja, jetzt bin ich in einer Ortschaft. Selbst die Zentren dieser Orte sind sehr luftig bebaut. Die einzelnen Gebäude sind sehr weit, mit vielen Parkplätzen dazwischen bebaut. Parkraumbewirtschaftungszonen machen hier keinen Sinn, wo man für’s Parken bezahlen muss, da fährt man nicht mehr hin. Nur in den Downtowns der großen Städte gibt es soetwas.
Am Ortseingang von Spartanburg gehe ich in einen privat geführten Imbiss. Hinter dem Tresen eine Frau ohne Zähne. Ich verstehe das Wifi-Passwort nicht, sie scheint das zu kennen und schreibt es mir kurzerhand auf. An der Decke zehn Ventilatoren, eine laute Klimaanlage und aus dem Lausprecher plärrt kaum hörbar Country-Musik: Mike´s Cafe.
Das ist „the forthcoming wild wild West“. Jeder tut, wozu Lust hat. Schaffe schaffe und der Jäger aus Kurpfalz mit dem Schießgewehr! Und dann noch Country Music…
Wie kommst du bloß mit soviel unterschiedlichen Dingen jeden Tag klar? Ich bewundere dich irgendwie!
Hallo! Wir sind gestern um 22:10 zu Bett gegangen. Vorher noch geguckt, ob was da ist. Nein. Wolfgang hat da mehr Ausdauer. Was er heute geschrieben hat, ist mir auch schon oft den Kopf gegangen. Ich kann mir aber vorstellen, das man während der Tour, im ersten Teil , noch einmal alles Revue passieren lässt, und dann den Kopf frei fährt. So, jetzt komme ich nach Spartanburg.M
Hallo! Wir sind gestern um 22:10 zu Bett gegangen. Vorher noch geguckt, ob was da ist. Nein. Wolfgang hat da mehr Ausdauer. Was er heute geschrieben hat, ist mir auch schon oft den Kopf gegangen. Ich kann mir aber vorstellen, das man während der Tour, im ersten Teil , noch einmal alles Revue passieren lässt, und dann den Kopf frei fährt. So, jetzt komme ich nach Spartanburg. M+V
Mittlerweile warte ich schon auf deine täglichen Berichte. Jeden Morgen schaue ich rein. Ein schönes Ritual. Hast mich gepackt mit deinen reich mit sozio-kulturellen Dingen gespickten Berichten!
Wieder ein toller Bericht!
100 km am Tag ,
bei den Hügeln,das geht nur mit Hornhaut am Hintern.
Weiterhin viel Spaß beim radeln.
Hallo Thomas !!
Ich schreib jetzt nochmal, weil ich den Bericht von Muttern verbessern muss, wir sind am gestrigen Tag nicht um 22:10 Uhr, sondern um 23:10 Uhr in die Heia gegangen. Also kurz bevor dein Bericht veröffentlich (oder bei uns einsehbar) wurde. Ich wünsche weiter gute Fahrt, lass dich ruhig mal fahren, damit du dein Zeit – Pensum schaffst. Alles Gute und immer ein Gefährt, was IO ist, und das der Spaß nicht auf der Strecke bleibt. Es grüßt die Vatter
Hi Thomas! Bin weiterhin begeistert und verschlinge deine Berichte. Ohne Worte, echt. So viele Eindrücke in so kurzer Zeit. Und es sind die Begegnungen. Nicht das Radfahren, welches es letztendlich „hergibt“. Kein Land ohne Leute eben. Hold on. Liebe Grüße auch von Sven, Kati