Fort Smith – Checotah

Der Weg in die Stadt Fort Smith sieht zunächst etwas trostlos aus. Die breite Straße wird gesäumt von Gewerbebetrieben, die Straßenränder sind dreckig, weshalb ich in der Mitte der rechten Spur fahre und zwei Mal angehupt werde. Das ist mir vorher noch nicht passiert in Amerika. Ich suche händeringend ein Restaurant, in dem ich eine Kleinigkeit essen und meinen Blog schreiben kann, doch alle Geschäfte auf dem Weg haben kein Wifi. So komme ich meinem Tagesziel immer näher und lande schließlich einen Kilometer vor diesem im goldenen M, wohlwissend, dass hier die Internetverbindung immer sehr lahm ist.

Ein paar Jugendliche reden laut und machen quatsch, was einen alten Veteranen (so sagt es zumindest seine Schirmmütze) zum Einschreiten nötigt. Er fragt streng, ob es hier ein Problem gibt, was die Jungs schnell zum Schweigen bringt und sie ängstlich auf den Fußboden starren lässt.

Schon mehr als einmal habe ich erlebt, dass man in Amerika um eine Ecke biegt und schon ist man in einer anderen Welt. So ist es jetzt auch wieder. Ich biege von einer Straße mit lauter Gewerbehöfen ab und bin plötzlich in einer Wohngegend. Auf einer Veranda sitzen mit hochgelegten Füßen zwei Frauen, eine alte Frau läuft im Schürzenkleid und mit Lockenwicklern im Haar über den Rasen im Vorgarten und ein dicker Mann führt seinen kleinen Hund, der unablässig an der Leine zieht, spazieren. Dann stehe ich vor Alex‘ Haus.

Diese Häuser überaschen mich nicht das erst mal. Von vorne sieht man ein kleines, knuddeliges Haus und wenn ich dann drinnen bin, da stellt man fest, dass es sich weit nach hinten hinaus zieht und sechs Zimmer hat. Am nächsten Morgen kontrolliere ich diesen Eindruck noch mal: Wenn ich von vorne gucke, bleibt es ein kleines Haus, selbst, wenn man von der Seite guckt, bleibt es ein kleines Haus.

Alex drängt mich auf die Couch, weil ich doch kaputt sein muss, besorgt mir was zu trinken und überfällt mich mit Fragen. Vor 22 Jahren ist Alex mit zwei Brüdern aus Mexiko in die USA, um für ein halbes Jahr Geld zu verdienen und seine Englischkenntnisse zu verbessern. Er war das erste Mal von Zuhause weg und ohne seine Eltern, die ihm sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Er hat schnell seinen ersten Freund kennengelernt. So wurden aus sechs Monaten schnell mehrere Jahre. Nach zehn Jahren hat er sich von seinem Freund getrennt und ein halbes Jahr später seinen jetzigen Ehemann kennengelernt; Joel.

Ich habe mich nicht getraut ihn zu fragen, ob er Geld an seine Eltern in Mexiko schickt. Das ist der große Vorwurf, den die Amerikaner den Hispanics machen, dass sie das ganze Geld, das sie hier in den Staaten verdienen, an die Verwandschaft in Mexiko schicken und somit der Wirtschaft in Amerika schaden würden. Oft höre ich, dass die Hispanics mit über zehn Leuten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung hausen würden, um noch mehr Geld nach Hause schicken zu können. In so beengten Verhältnissen wohnt Alex ganz bestimmt nicht. Das Haus, das beide gekauft haben, ist wirklich groß und so komme ich zu dem Schluss, dass Alex wohl kein Geld an seine Verwandschaft in Mexiko schickt.

Nach der Dusche ist Joel von der Arbeit gekommen und sie laden mich zu einem Inder zum Essen ein. Das erst mal bekomme ich wirklich scharfes Essen in Amerika serviert. Ich mag scharfes Essen, aber was die Amerikaner bisher unter scharf verstanden haben, war eher mild in meinem Gaumen. Wir unterhalten uns über die Präsidentschaftswahlen, die Flüchtlingskrise in Europa, Sozialversicherungen, Ausbildungssysteme und schwul sein in Amerika und Deutschland. Auch wenn viele Schwule in Amerika mir sagen, dass es keine Probleme gibt, fühle ich mich immer in diese Zeit vor zwanzig Jahren in Deutschland zurückversetzt, als man immer erst vorsichtig abchecken musste, welche Einstellungen das Gegenüber vertritt. Es geht dabei nicht um eine tatsächliche Gefahr um Leib und Leben sondern eher um eine eingeübte Haltung gegenüber der Gesellschaft, die eine Erwartungshaltung erfüllt sehen will. Oft höre ich von einer Szene, in der verheiratete Männer ihre Sexualität ausleben, für diese ist es eine reale Gefahr, als Schwuler geoutet zu werden und sie befeuern dieses Gefühl, dieses Unbehagen, das ich hier wahrnehme. Sie befeuern es sowohl als Opfer als auch als Täter, wenn sie jede Form der Homosexualität von sich weisen.

Alex und Joel stehen da, sind sich über sich im Klaren und wirken sehr unverkrampft. Seit zwei Jahren sind sie offiziell verheiratet. Hier fühle ich mich als Schwuler seit langem einmal wieder in unkomplizierter Sozialisation; kein Fettnäpfchen in Sicht.

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Dass sich meine Abreise am nächsten Morgen verzögert, wird noch Folgen haben. Über Oklahoma City wütet eine schwere Gewitterfront, die sich von der Golfküste bis an die Grenze von Nebraska hoch zieht. Schon in London wurde ich auf viel Regen vorbereitet. Um 9:30 Uhr trete ich in die Pedalen und fahre mit kräftigem Rückenwind Richtung Westen. Nach 65 Kilometern fallen dann die ersten Tropfen vom Himmel, die schnell dicker werden und mich in einer ´Bar´ Unterschlupf suchen lassen. Ein Blick auf den Regenradar zeigt mir, dass dies erst der Anfang von etwas ganz Großem ist.

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Bei Pommes und Salat überdenke ich meine Situation. Da ich mich am Rande des Mittleren Westens befinde und immer wieder mit weiten baumlosen Ebenen rechen muss, erscheint es mir zu gefährlich, in ein riesiges Gewitter hinein zu fahren. Im mittlerweile gut gefüllten Restaurant stehe ich auf, räuspere mich und wende mich an die Anwesenden: „Ich bin Thomas und fahre mit dem Fahrrad von New York nach San Francisco und kann in dem Wetter nicht weiter fahren. Muss aber noch nach Warner heute kommen. Kann mir jemand helfen?“ „Du bist aus Deutschland“ fragt der Herr vom Nachbartisch und ich kann das bestätigen. Er, Tom, wird mich mit seinem Truck (Pick-up) fahren. Wir kommen gut ins Gespräch. Er hat Casinos in Las Vegas geplant und sei nun seit acht Jahren berentet. Er sei vor drei Jahren mit seiner Frau Diane hierher nach Vian gezogen, weil hier so viele gut Angelreviere seien. Und, weil sie mal was anderes als Wüste sehen wollten.

Sie waren einmal beruflich in China, weil dort ein Casinoresort von ihm geplant wurde. Da habe er zur Eröffnung hingemusst. Ansonsten ist er nie im Ausland gewesen, stellt er nachdenklich fest. Er würde gerne mal nach Europa, aber hier in den USA habe er mit seinem RV (Wohnmobil) immer noch nicht alle Ecken gesehen. Er fragt mich über Deutschland und Polen aus, wo ich schon ein paar mal war. Dianes Eltern würden aus Polen stammen: wie ist das Wetter da, gibt es Angelmöglichkeiten, wie sieht die Landschaft aus, …

Zwischendurch regnet es so heftig, dass es die Sichtweite auf unter fünfzig Meter schrumpft, Blitze zucken und heftige Windboen schütteln das Auto durch. Ich wäre von der Straße gespült oder geweht worden. Tom erklärt mir, warum entlang der Eisenbahnstrecken alle zwanzig Kilometer eine Siedlung existiert: Weil das für die Dampflokomotiven die maximale Entfernung war, die sie zurücklegen konnten, dann mussten sie Wasser nachtanken.

In Warner angekommen, nähern wir uns dem Motel und Tom stößt ein „Oh-o!“ aus. Vor dem Motel steht ein weißer Toyota. Das Motel sieht sonderbar verlassen aus, wie ein leerer Tisch an dem soeben noch Leute gesessen haben. Tom hält neben dem weißen Auto und steigt mit mir aus. Aus dem weißen Auto springt eine Dame in einem helblauen Hemd, desen Stoff merkwürdig derbe aussieht, hält uns einen Ausweis unter die Nase und redet in hohem Tempo auf uns ein. Ich verstehe kein Wort. Tom klärt mich auf: Die Dame ist von der Steuerfahndung und wartet hier auf die Besitzer des Motels, warum, durfte sie nicht sagen. Er ist sich sicher, dass ich hier heute keine Unterkunft kriegen werde. „Diese weißen Autos sind typisch für die Steuerfahndung“, erklärt er mir „und erzeugen bei vielen ein mulmiges Gefühl“.

Diane und Tom fahren mich nach Chekotah, weil es sonst keine weiteren Motels in Warner gibt. Das Budget Inn gibt mir ein Zimmer für 50 $. eindeutig zu viel, wie ich nach fünf Minuten im Zimmer feststelle:
– Die Klimaanlage hängt schief in der Wand, durch einen Spalt kann ich nach draußen blicken
– Ein Lichtschalter ist zerbrochen und die blanken Kabel schauen mir entgegen
– In der Oberdecke der Bettwäsche sind Brandlöcher
– Die Gardine ist mit Heftpflaster geflickt
– Der Teppich ist fleckig
– Der Fernseher hängt schief an der Wand
– Im Sanitärbereich klebt eine rote Substanz auf dem Fußboden, die sich leicht wegwischen lässt
– Die Klobrille besteht aus einer üblen, porösen Plastikoberfläche, unter der das Pressspan zu sehen ist.
– Die Badewanne wurde in guter Absicht mal weiß angemalt. Die weiße Acrylfarbe aber zum großen Teil schon wieder abgewaschen.
– Aus der Wannenarmatur läuft unablässig ein leichter Rinnsaal, den ich nicht abstellen kann
-…

Ich denke an das schlimmste Klo in England aus Trainspotting, gehe zur Rezeption und will in ein anderes Motel umziehen: Keine Chance, sie kann angeblich die Kreditkartenbelastung nicht rückgängig machen. Na gut, dann eben nicht.

 

Ein paar Gedanken zur Landschaft:

Bis Richmond habe ich mich nahe der Küste aufgehalten, was wenige Hügel mit sich gebracht hat. Dann gelangte ich ins Landesinnere und es folgte eine Landschaft, die durch die Ausläufer der Apalachen geprägt ist. Quer zum Verlauf des Gebirges musste ich immer wieder oben von einem Hügelkamm runter zum Fluss, der das Wasser aus den Bergen abtransportierte. Ebener war es auf der alten Bahntrasse hinter Atlanta. Die folgenden Abschnitte bis kurz vor Memphis waren besonders heftig, weil man hier über die Apalachen(reste) hinweg musste. Im Mississippital war es dann platt wie an der Nordsee und das hielt sich so bis Little Rock.

Arkansas war bis jetzt die reizvollste Landschaft auf meiner Reise. Von den landwirtschaftlichen Flächen am Mississippi, mit ausgedehnten Auwäldern, Sümpfen und den folgenden Reisfeldern bis zu den sanft geschwungenen Hügeln im Westen, die Wälder und Viehwirtschaft ermöglichen, ist es sehr abwechslungsreich. Aber auch Little Rock hat mich sehr beeindruckt mit seiner Verkehrsberuhigten Innenstadt, die sehr viel Lebensqualität ausgestrahlt hat.

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Jetzt bin ich in Oklahoma angekommen und habe damit die Südstaaten hinter mir gelassen, befinde mich aber immer noch im sogenannten Biblebelt. In den nächsten Tagen wird das Tischtuch der Landschaft immer straffer gezogen und bald werde ich für etwa zwei Wochen keinen einzigen Hügel mehr zu sehen bekommen. Die Bäume, von denen ich so sehr gehofft habe, dass ich sie noch grün sehen werde, werden in zwei Tagen hinter mir liegen. Bäume werde ich erst wieder an der Pazifikküste sehen, dann sind es aber meist immergrüne.

8 Replies to “Fort Smith – Checotah”

  1. Jürgen Potthoff-Jürs

    Wow, ich bin der erste Kommentierende!
    Die Statistik sagt, dass die Seite gestern von 59 Besuchern insgesamt 357 Mal aufgerufen wurde. Neben Menschen aus den USA ist nun auch einer aus Kanada dabei gewesen. Deutschland erwähne ich jetzt nicht extra 😉
    Pass auf dich auf, heute!

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  2. Theresia Potthoff

    Schön dass Du immer wieder nette, hilfsbereite Menschen triffstdie Dir weiter helfen. Weiterhin eine gute Reise und viele nette hilfsbereite Mitmenschen. LG Theresia

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  3. hanne hartung

    Und wieder ein Käfer.Wie mutig von Dir ,einfach auf zustehen und um Hilfe zufragen.
    Das Zimmer hättest Du mal fotografieren müssen.Einige Bilder erinnern an Schleswig -Holstein.
    Pass weiterhin gut auf dich auf.
    L.G.helmut u hanne

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  4. Werner Jürs

    Hallo Thomas!
    Gestern waren wir schon in Checotah, haben uns alles angesehen und sind wieder nach Haus.
    Wow, wenn man in solcher Unterkunft wie das „Budget Inn“ genächtigt hat, dann weis man die Anderen erst zu schätzen.
    Auch Landschaftlich bekommst du ja auch von allem etwas mit, ändern sich denn die Menschen mit der Landschaft?
    Die Aufnahmen der 4 Bilder nebeneinander könnten auch hier bei uns im Störtal entstanden sein.
    So nun gute Fahrt und bessere Unterkünfte.
    Gruß V.

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  5. Wolfgang

    Warum ist es denn so bald mit den Bäumen vorbei? Zu trocken? An der Höhe oder den Temperaturen kann es ja eigentlich nicht liegen… Also Regen gab es ja gerade reichlich, laut Wetterkarte an einigen Stellen knapp 300 mm, das ist die Hälfte dessen, was in Berlin im Jahr (!) fällt.

    Den Bildern nach ist das Land ja langsam (ohne Grün) genauso trostlos wie dein Motel-Zimmer. Ich kann Hanne nur Recht geben, ein paar abschreckende Bilder fehlen hier in der DOKU…

    @jürgen: wenn schon so viele Leute gucken ist es ja schade, dass nur so wenige spenden, aber es sind ja noch gut 7 Wochen bis San Francisco.

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  6. Alex Ojeda

    I will continue to keep up with your trip here on your Blog Thomas, it was great to meet you and I am sorry you had such a bad time in Checotah, they should have refunded you the room $$

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  7. Cecilia

    Hallo Thomas,
    ich sehe schon das wird ein Käfer-Tour 🙂
    Bin gespannt mit was Du zurückkommst Rad oder Käfer.
    Dir jetzt aber erstmal Bibelfeste Tage und weiterhin gute Fahrt.

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