1. Tag San Francisco

Nach dem Frühstück mache ich mich auf den Weg in die California Academy of Science, einem Museum zu verschiedenen Naturphänomenen. Das Fahrradgeschäft gleich um die Ecke heißt „Citizen Chain“, es hat Dienstags geschlossen, aber wie der Zufall es will, kommt genau in diesem Moment der Besitzer auf meinen ratlosen Gesichtsausdruck zu. Er hat eine Bikebox im Lager und verkauft sie mir für 10,- $. Da ich keine Lust auf weitere Komplikationen habe, bin ich mit seinem Angebot einverstanden. Er besteht jedoch darauf, dass ich die Box erst morgen abhole, zu den regulären Öffnungszeiten.

Mein Navigationssystem führt mich weiter zur Market Street, auf der ich gestern so phantastische Rennen mit anderen Radfahrern gefahren bin. Ich suche das größte Kaufhaus der Stadt: Macy´s, muss jedoch daran vorbeigefahren sein. Später sehe ich, dass es etwas zurück liegt und von der Market Street nicht sofort zu erkennen ist.

Weiter die Market Street rauf ist das San Francisco LGBT Community Center, auf das ich im ersten Moment etwas geschockt blicke. Es ist geschlossen, Packpapier verhindert den Blick ins Innere und eine Maklerfirma bietet Räume zum Mieten an. Mein erster Gedanke ist, dass es das Center nicht mehr gibt, für das ich Geld gesammelt habe. An der Tür zum Haupteingang kleben zahlreiche Zettel und Plakate. Ich werfe einen Blick darauf und erfahre, dass seit Anfang des Jahres umfangreiche Umbaumaßnahmen im Gange sind, weshalb bis Mitte des Jahres nur eingeschränkt Publikumsverkehr möglich ist. Eine Telefonliste fordert dazu auf, Menschen anzurufen, mit denen man sprechen möchte. Ich treffe in der Liste auf Roberto, mit dem ich vor meiner Abreise ein paar Mails hin und her geschrieben hatte. Ich wähle kurzentschlossen seine Nummer.

Er holt mich wenig später am Eingang ab und bittet mich ins Gebäude. Ich erzähle kurz von meiner Reise und dem Fundraising. Er freut sich riesig, dass ich vorbeigekommen bin, „jeder Betrag zählt“ sagt er und ich frage, vielviel denn durchschnittlich gespendet wird? Es laufen immer so etwa 200 dieser Fundraising Aktionen, wie ich sie gemacht habe und im Schnitt bringen sie 150,- $ ein. Diese Auskunft überrascht mich, da hätte ich höhere Beträge erwartet, es gibt ja das Gerücht, dass die Amerikaner viel spendenfreundlicher sind. Allerdings ergeben 200 mal 150,- $ die Summe von 30.000,-$ was garantiert auch nicht reicht, dieses riesige Gebäude zu unterhalten.

An dieser Stelle noch mal die Aufforderung, zu spenden. Ihr unterstützt damit die Arbeit, dieses Zentrums mit obdachlosen Kindern. Meines Erachtens trägt diese Arbeit unmittelbar zu einem offenen, toleranten und friedlichen Amerika bei.

Im Zuge der Krise 2008 sind viele staatliche Unterstützungen weggefallen, die Bankenkrise hat gerade Kalifonien hart getroffen, das mit der spendabeln Politik des Herrn Schwarzeneggers keinerlei finanziellen Spielraum mehr hatte. Auch das Zentrum blieb von den Sparmaßnahmen nicht verschohnt. Die aktuelle Herausforderung für die Szene ist jedoch, dass die Mieten und Immoblienpreise seit etwa fünf Jahren unaufhörlich durch die Decke gehen. Vereine und kleine Unternehmen können die Mieten nicht mehr zahlen und müssen ihre Tore schließen. Das Zentrum ist in der komfortabeln Lage, dass es Eigentümer ihrer Immobilie ist. Als Folge dieser Situation haben sie sich zu einem Umbau entschlossen. Ein großes Atrium soll geschlossen und mit Geschossdecken versehen werden, um weiteren Raum für die Szene zu bieten.

Es besteht aus verschieden Fachbereichen, die unterschiedlich zu dessen Erhalt beitragen. Es gibt zum  Beispiel einen Multifunktionsraum, den man für Feiern mieten kann. Büroräume können für einen geringen Beitrag von Startups gemietet werden. Eine Kanzlei hat Räume gemietet. Es gibt ein Gesundheitszetrum, das eine ortsübliche Miete mit staatlicher Unterstützung zahlt, ebenso einen Verein, der kostenlose HIV-Tests anbietet.

In diesem Zuge erfahre ich auch die neuen Ansätze zur AIDS-Prävention. In San Francisco ist von vier Männen einer mit HIV infiziert. Die Kondomkampagne wird als ein Standbein angesehen, die jedoch eine nicht zu unterschätzende Anzahl von Männern nicht erreicht. Sie wollen keine Kondome benutzen. Eine aktuelle Studie verspricht für diese Zielgruppe eine Alternative: PEP, eine tägliche Dosis Truvada scheint einer Infektion zuverlässig entgegenzuwirken, mit allen Nebenwirkungen.

Als Roberto vom Gesundheitszentrum erzählt, das mittellose LGBT´s betreut, bin ich beeindruckt und ich erzähle ihm neidisch, dass es soetwas in Deutschland nicht gibt. Er blickt mich dann verständnislos an und meint, dass es in Deutschland auch nicht nötig sei, weil dort fast jeder eine Krankenversicherung hat. Ich stimme dem betreten zu, trotzdem finde ich es beeindruckend, was hier mit überwiedend ehrenamtlicher Leistung auf die Beine gestellt wird. Wie erzählte mir Christoph aus Philadelphia: Der Staat hält sich hier aus vielem raus und wenn es keiner macht, dann passiert auch nichts; ein Grund zu spenden.

Nach zwei Stunden Führung und intensiven Gesprächs, fällt der Abschied herzlich aus und er gehört zu den Leuten, die ich nach Deutschland eigneladen habe.

San Francisco ist hügelig, und um von der Market Street zum Beispiel ohne schlimme Steigungen in den Golden Gate Park zu kommen, gibt es den Wiggle, eine Fahrradroute, die sich im Zickzack zwischen den Hügeln hindurchschlängelt. Über den Wiggle gelange ich auf die Route, die mich zur Academy of Science bringt.

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Die Academy ist ein ganz besonderes Naturhistorisches Museum. Es gibt eine Reihe von permanten Ausstellungen: Zum Regenwald, zur Afrikanischen Tierwelt, das Steinhart Aquarium. In einem Planetarium laufen wechselnde Filme. Im Erdgeschoss gibt es zentral eine Bühne für Aufführungen und Vorträge. An den Stirnseiten werden aktuelle Austellungen gezeigt. Zur Zeit gibt es eine Ausstellung zu Erdbeben und zu unterschiedlichen Anpassungsstrategien von Tieren in unterschiedlichen Umgebungen.

Ohne dass ich es merke, werde ich von diesem Museum abgeholt und immer tiefer in das reingerissen, was sie mir erzählen wollen. Eigentlich bin ich zum Zeichnen hergekommen, doch am Ende stelle ich fest, dass ich weder gezeichnet habe, noch alles gesehen habe.

Das Aquarium ist ein gutes Beispiel dafür: Ich renne noch mal schnell runter und bin enttäuscht: eine große Anzahl von kleinen Becken wartet auf mich. Das Aquarium in Atlanta hält riesige Becken mit riesigen Fischen für den Besucher bereit. Im ersten Becken zwei Fetzenfische, im zweiten Becken wieder zwei Fetzenfische, jedoch eine andere Art. Das ist neu für mich, dass es verschieden Sorten gibt und dass sie sich auf ihre Art an ihre natürliche Umgebung angepasst haben, das wird hier gezeigt. Das nächste Becken ist wieder eine Besonderheit: Ein Quallenbecken, jedoch nicht horizontal in eine Wand eingebaut, sondern vertikal auf den Boden gestellt. Die Herrausforderung beim Halten von Quallen ist, dass diese nicht die Beckenwände berühren dürfen, weil sie sonst innerhalb von wenigen Tagen sterben. Die Lösung dieses Problems besteht in der Erzeugung einer bestimmten Strömung, die die Quallen von den Wänden fern hält. Diese Strömung lässt das Wasser im Becken im Kreis drehen. Bei den horizontalen Becken versteckt man diese Technik in der Wand, bei den vertikalen Becken, die wie Glaszylinder aussehen, gibt es keine Wand. Die Technik wird durch einen komplizierten Glassschliff in den Glaswänden unsichtbar eingebaut. Nur wer weiß, worauf er achten muss, kann die Wasserrohre für die Strömungserzeugung erkennen. Ein solches Becken habe ich vorher nur in Kapstadt gesehen, nicht einmal Atlanta hat ein solches. Die Quallen drehen sich nicht wie eine Uhr an der Wand, sondern wie eine Schallplatte vor den Augen.

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Und so geht es staunend von einem Becken zum anderen, der Fokus liegt hier nicht auf dem Großen, sondern auf den vielen kleinen Dingen, die es in dieser Welt gibt. Da haben sich sehr viele Leute sehr viele Gedanken gemacht, so dass ich denke, dass der stolze Eintritt von 35,- $ gerechtfertigt ist. Ich habe den allerdings nicht gezahlt, weil mir Curt seine Jahreskarte gegeben hat, mit der ich kostenlos rein gekommen bin. Das Museum wirkt sehr agil und ich bin überzeugt, wenn ich in ein paar Monaten wieder kommen würde, dass sich einiges geändert hätte und neue Dinge zu sehen sind.

Das Museum schließt um 5 pm und ich werde rausgekehrt. Zu Hause mache ich mich daran, Curt und Tele mit Pizza zu versorgen. Ich backe auch ein Vollkornbrot. Ich habe gehört, dass das amerikanische Weizenmehl nicht so gut auf Hefe reagiert, weil es in der Regel genmanipulierter Weizen ist, der hier zu Mehl verarbeitet wird; er ist resistenter gegen Mikroorganismen. Hefe ist ja auch ein Mikroorganismus. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass die Teige nicht so gut aufgegangen sind; sind vielleicht auch alles nur Gerüchte…

One Reply to “1. Tag San Francisco”

  1. Werner Jürs

    Hallo Thomas!
    Noch einmal, TOLL; DAS DU ES GESCHAFFT HAST. Bin ganz stolz auf dich, wenn ich hier erzähle, das du Sonntag wieder kommst.
    Das mit dem Weizenmehl habe ich letzte Woche im Fernsehen gehört. Ein Deutscher hat in Amerika, weiß nicht mehr wo, eine Bäckerei eröffnet, und backt deutsches Brot. Sämtliche Sorten. Die Amerikaner sind ganz wild darauf.
    Jetzt auf zum nächsten Bericht. M

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