Washington – Richmond

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Es ist wie immer nach einer Woche: Ich bekomme Heimweh. Vielleicht ist es da ganz gut, dass ich jetzt die großen Ostküstenstätte verlasse und in eine neue Gegend vorstoße. Virginia gehört schon zu den Südstaaten, in denen bis 1865 die Sklavenhaltung noch erlaubt war. Alexandria steht heute jedoch eindeutig unter dem Einfluss von Washington.

Der Morgen war von Sachen-packen und Kommunikation mit der Heimat geprägt. Ich skype mit Jürgen und den Nachbarn. Das tut gut, ich vergesse dabei nur etwas die Zeit und muss dann plötzlich feststellen, dass in 18 Minuten mein Zug abfährt. In aller Eile packe ich meine Sachen und rase zum Bahnhof. Die 15 Kilo weniger Gepäck sind der Hammer. Die Welt sieht gleich viel leichter aus. Der Ruhetag tut sein übriges. Sechs Minuten brauche ich zum Bahnhof und ignoriere das erste Mal jede mögliche Rote Ampel

Mit dem Fahrrad Zug fahren in den USA ist auch ein Erlebnis. Am Bahnhof frage ich extra nach, wie das mit meinem Fahrrad ablaufen wird. Mein Fahrrad muss in den letzten Waggon, wird mir gesagt. Als der Zug einfährt, suche ich den letzten Waggon auf. Die Ladeluke ist etwa 1,2 Meter über dem Boden. Nach einigem Gefummel habe ich die Tür auf und schiebe mein Gepäck in das Abteil. Dann das Fahrrad hoch gewuchtet und selber in den Waggon geklettert. Mein Fahrrad befestige ich mit den Strips an einer der Haltevorrichtungen. Ich bin gerade fertig und will mit zwei Taschen in die Abteile vordringen, da kommt mir ein dicker Schaffner entgegen. Das erste Mal wird ein Amerikaner mir gegenüber unfreundlich: Ich kann das an der Stimme hören. Ich verstehe kein Wort und schaue ihn unverwunden freundlich an, was bestimmt ein wenig debil wirkt aber es tut seine Wirkung: „Woher kommst Du?“ Na, aus Deutschland, „Du fährst das erste Mal mit dem Fahrrad im Zug?“ Yes! Er wird freundlicher und will mein Rad an den dafür vorgesehenen Haken verstauen. Er will es unbedingt alleine hinkriegen, was mich nicht daran hindert, dem dicken Mann trotzdem zu helfen, ich befürchte sonst einen Herzinfarkt. Er scheucht mich dann durch den Zug und bedeutet mir, im nächsten Waggon könne ich mir einen Sitz aussuchen. Ich stehe dort etwas hilflos herum, da dieses Abteil eher wie die 1. Klasse aussieht aber ich bin hier richtig. Selbst wenn ich meine Füße ausstrecke, kann ich nicht an den Vordersitz stoßen.

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Gestern ist mir doch schon bewusst geworden, wie groß dieses Land ist. Ich bin eine Woche unterwegs und habe heute mit Hilfe Amtraks etwa 10 Prozent der Strecke hinter mir (480 Kilometer auf dem Fahrrad und 200 Kilometer mit der Bahn).

Ich gewöhne mich langsam an dieses Land. Die Wälder, die am Weg liegen erscheinen mir langsam vertraut. Am Anfang wirkten sie mit ihren vielen Kletterpflanzen (Efeu, Clematis, Geißblatt) fremd. Die Bäume verzweigen sich auch tiefer, Buchen kann ich nur selten erkennen. Die meisten Wälder sehe ich entlang ursprünglicher Bach- und Flussläufe. Wahrscheinlich auch ein Zeichen dafür, dass man hier viel Platz hat: Man macht sich nicht die Mühe, die Flüsse zu begradigen, um mehr Ackerland zur Verfügung zu haben.

Am Anfang fiel mir der viele Dreck auf den Straßen auf, jetzt ist es eher so, dass es meine Aufmerksamkeit erregt, wenn kein Sand/Müll/Schotter den Rinnstein ziert.

Das Schlimme ist ja, dass, wenn man sich an etwas gewöhnt, es die Aufmerksamkeit verlässt. Viele Dinge, die mir zu Beginn so präsent erschienen, fallen mir jetzt nicht mehr auf. Ich lasse zu Hause schon viel zu oft das Licht an, hier habe ich mich sehr schnell daran gewöhnt, dass so etwas egal ist. Wir haben den Fernseher angelassen, sage ich, als wir die Wohnung verlassen und bekomme ein erstauntes Schulterzucken zurück.

Die fetten Autos, die hier überall fahren: Jetzt fand ich den Mustang von Jeneane schon irgendwie klein, was soll ich bloß von unserem Golf denken, wenn ich zurück bin. Hier sind Kleinwagen das, was bei uns Mittelklassewagen sind. Ich habe noch nicht einen einzigen Polo oder Vergleichbares gesehen.

14 Replies to “Washington – Richmond”

  1. Werner Jürs

    Schade, Skype können wir nicht. Dein Fahrrad ist ja recht dünn geworden und fährt sich jetzt super. Schön das es dir jetzt besser geht. Wieso nimmt man ein Buch von H. Schmidt mit? Abends ist man doch vom radeln, schauen und klönen müde! Uns ging es jedenfalls so. Bin ja gespannt, wie du hinterher deine Heimat siehst. So, jetzt gehe ich mit Lilly raus. Es schüttet wie aus Eimern. Freudig guckt der Hund nicht. Bis bald. M + V

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  2. hanne hartung

    Hallo Thomas!
    Heimweh,das kenne ich auchaber durch deine Berichte bekomme i ch jetzt Fernweh.Kopf hoch
    durch die vielen neuen Eindrücke vergeht es hoffentlich schnell.Wenn dann auch noch so ein
    fetter,unfreundlicher Schaffner kommt,dann ist das Fass voll.Kann ich verstehen. Da kann auch
    Robinson nichts mehr machen.Unsere Frage war immer wie viel km du schon gefahren bist?
    Aber das hast du jetzt beantwortet.So,Kopf hoch.Mach weiter so,wir warten auf den nächsten
    Bericht. Hoffentlich hast du dich mit Ersatz Schläuche eingedeckt!
    Helmut und Hanne

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  3. Werner Jürs

    Guten Morgen! War gestern Nacht noch in Richmond. Sieht da wirklich alles so groß, breit und strahlend aus? War bestimmt vorzeige Viertel. Gibt sicherlich auch andere Straßen und Orte. Werde gleich versuchen noch eine andere Seite zu finden.
    Bis bald M + V
    Wolfgang, wann hören wir dich jodeln?

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  4. Jessica

    Jetzt möchte ich mich auch mal zu Wort melden! 🙂
    Mein lieber Thomas, es bereitet mir so viel Freude, lächeln, Interesse und hin und wieder auch ein kleines Tränchen, das ich weg drücke, wenn ich deine Beiträge lese! Du schreibst sie so bildlich, informativ und liebevoll! Es macht einfach nur Spaß und ich gucke fast täglich, ob was neues geschrieben ist. Mein kleiner Chaos-Kollege-Thomas in the big USA! Wahnsinn!!!
    Mach weiter so und glaube mir, am Ende sind wir alle noch da und warten hier auf dich!!! Fühl dich gedrückt! Jessi

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  5. Werner Jürs

    Noch einmal ich. Bin fertig. 2 Stunden durch Richmond gesurft. Lustigste Straßenname war Buttermilk Trav . Geht unter Cowardin Ave 301 durch. Feldmark. Habe Richmond auch von der anderen Seite gesehen..Hoffe, habe nicht genervt. Bringt einfach spaß und du kannst beim ausruhen schmunzeln. M

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  6. Elke

    Zugfahren ist großes Kino in den USA. Habe es immer sehr genossen, unfassbar viel Platz zu haben und das Gepäck gesondert aufgeben zu können wie beim Fliegen. Und unfreundliche Schaffner kennste ja bestimmt aus deinem Heimatland 🙂 …

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  7. Elke

    Habe gerade mal etwas Werbung für dein Projekt auf Facebook gemacht. Vielleicht lässt sich ja die eine oder der andere noch für eine Spende rekrutieren.

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  8. Wolfgang

    ich mache Werbung in meiner emailsignatur! da haben mich auch schon Kunden drauf angesprochen! und nix gejodelt ?

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  9. Wolfgang

    geht es jetzt eigentlich Richtung Nashville? dann sollte ich
    mir das doch noch mal mit dem jodeln überlegen ?

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